Das Kontrollgremium werde auf seiner Sitzung am Dienstag möglicherweise von seiner Empfehlung an die Aktionäre abrücken, dem Vorstand für das abgelaufene Geschäftsjahr das Vertrauen auszusprechen, sagte eine mit den Beratungen vertraute Person der Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag. Grund seien die nun aufgenommenen Ermittlungen gegen Winterkorn und ein weiteres, nicht genanntes damaliges Vorstandsmitglied - mehreren Insidern zufolge den amtierenden VW-Markenchef Herbert Diess.

Es sei noch unklar, ob die Empfehlung an die Hauptversammlung zur Entlastung des gesamten Vorstands zurückgezogen werde oder sich dies nur auf Winterkorn und Diess beschränken solle, sagte die Person. Ein weiterer Insider bestätigte, dass sich der Aufsichtsrat vermutlich erneut mit der Entlastungsempfehlung befassen werde. Eine dritte Person sagte, es liege auf der Hand, dass auch über eine Verschiebung des Beschlusses diskutiert werde.

Der Aufsichtsrat hatte am 11. Mai trotz der laufenden Ermittlungen im Dieselskandal den Aktionären empfohlen, bei ihrem Treffen am 22. Juni der kompletten Führungsspitze, also allen Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat, das Vertrauen auszusprechen. Dies war in der Öffentlichkeit heftig kritisiert worden. Zahlreiche Investoren und Kleinaktionäre haben angekündigt, gegen die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat zu stimmen. Mit Spannung wird zudem die Abstimmung über den Einsatz eines externen Sonderprüfers erwartet, der die Vorgänge rund um "Dieselgate" untersuchen soll.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte am Montag mitgeteilt, gegen Winterkorn und Diess werde wegen des Verdachts auf Marktmanipulation ermittelt. VW äußerte sich dazu nicht. Diess war nicht zu erreichen. Die Ermittlungen treffen den früheren BMW-Manager mitten in den Arbeiten zur Sanierung der schwächelnden Marke VW. Von seinem Erfolg hängt auch ab, ob Konzernchef Matthias Müller das Wolfsburger Unternehmen neu ausrichten kann.

Die Staatsanwaltschaft geht nach einer Anzeige der Finanzaufsicht BaFin dem Verdacht nach, dass Volkswagen möglicherweise bewusst verspätet über die finanziellen Folgen der millionenfachen Abgasmanipulation informierte. Die Ermittler teilten mit, es bestünden "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" dafür, dass die Pflicht zur Information der Börse bereits zu einem früheren Zeitpunkt bestanden habe.

Der Wolfsburger Konzern hatte am 20. September 2015 auf Druck der US-Umweltbehörden öffentlich zugegeben, Abgaswerte durch eine illegale Software manipuliert zu haben. Nach dem Geständnis brach die VW-Aktie ein. Am 22. September gaben die Niedersachsen bekannt, dass weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge von dem Betrug betroffen seien und der Konzern deswegen 6,5 Milliarden Euro zur Seite legen müsse. Die Rückstellungen wurden später auf 16,2 Milliarden Euro erhöht. Der Konzern wies deshalb im vergangenen Jahr den höchsten Verlust seiner Firmengeschichte aus.

rtr