Der Aufsichtsrat werde auf seiner Sitzung am Dienstag nochmals über seine Empfehlung an die VW-Aktionäre diskutieren, dem Vorstand für das abgelaufene Jahr das Vertrauen auszusprechen, erfuhr Reuters von mehreren mit der Situation vertrauten Personen. Möglicherweise werde das Gremium von dieser Empfehlung abrücken, sagte ein Insider. Grund seien die nun aufgenommenen Ermittlungen gegen den früheren VW-Chef Martin Winterkorn und - wie mehrere Insider berichteten - den amtierenden VW-Markenchef Herbert Diess wegen des Verdachts auf Marktmanipulation. Angezeigt hat die Finanzbehörde Bafin einer Person mit Kenntnissen des Vorgangs zufolge jedoch den gesamten VW-Vorstand. Ermittlungen gegen weitere Personen bei VW seien nicht ausgeschlossen, erklärte daraufhin die Staatsanwaltschaft.

Der Aufsichtsrat hatte am 11. Mai trotz des Dieselskandals den Aktionären empfohlen, der kompletten Führungsspitze, also allen Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat, das Vertrauen auszusprechen. Dies war in der Öffentlichkeit heftig kritisiert worden. Zahlreiche Investoren und Kleinaktionäre kündigten an, gegen die Entlastung zu stimmen. Nun steht das Thema beim Kontrollrat erneut zur Diskussion: Es sei noch unklar, ob möglicherweise die Empfehlung zur Entlastung des gesamten Vorstands zurückgezogen werde oder sich dies nur auf Winterkorn und Diess beschränken solle, sagte ein Insider. Es gelte allerdings die Unschuldsvermutung, erläuterte eine weitere Person. Die Staatsanwaltschaft gehe bisher nur einem Verdacht nach. Man müsse den Vorständen nur dann die Entlastung verweigern, wenn sehr wahrscheinlich sei, dass sie ihre Pflichten grob verletzt hätten. Das sei derzeit nicht der Fall.

ERMITTLUNGEN GEGEN WEITERE PERSONEN NICHT AUSGESCHLOSSEN



Die Staatsanwaltschaft Braunschweig geht dem Verdacht nach, dass VW möglicherweise bewusst verspätet über die finanziellen Folgen der millionenfachen Abgasmanipulation informiert hat. Die Ermittler teilten mit, es bestünden "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" dafür, dass die Pflicht zur Information der Börse bereits zu einem früheren Zeitpunkt bestanden habe. Ein Insider sagte zu Reuters, die Bafin sei der Auffassung, der Konzernvorstands sei insgesamt verantwortlich für die mutmaßliche Marktmanipulation. Die Ermittler könnten daher den Personenkreis noch ausweiten. Das bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig: Es sei nicht auszuschließen, dass gegen weitere Personen ermittelt würde. "Das ist ein fließender Vorgang." Die Zahl der Beschuldigten sei nicht in Stein gemeißelt. Sie könne sich erhöhen - oder verringern.

Dem Konzernvorstand gehörten im September vor dem Rücktritt Winterkorns im Zuge der Abgasaffäre zehn Männer an, darunter der jetzige Vorstandschef Matthias Müller und der jetzige Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, damals noch Finanzvorstand. Die Bafin lehnte einen Kommentar ab. VW hatte erklärt, es gebe keine neuen Erkenntnisse über schwerwiegende Pflichtverletzungen der beschuldigten Vorstandsmitglieder.

Die Ermittlungen gegen VW-Markenvorstand Diess treffen den früheren BMW-Manager mitten in den Arbeiten zur Sanierung der schwächelnden Marke VW. Von seinem Erfolg hängt auch ab, ob Konzernchef Matthias Müller das Wolfsburger Unternehmen neu ausrichten kann.

Der Wolfsburger Konzern hatte am 20. September 2015 auf Druck der US-Umweltbehörden öffentlich zugegeben, Abgaswerte durch eine illegale Software manipuliert zu haben. Nach dem Geständnis brach die VW-Aktie ein. Am 22. September gaben die Niedersachsen bekannt, dass weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge von dem Betrug betroffen seien und der Konzern deswegen 6,5 Milliarden Euro zur Seite legen müsse. Die Rückstellungen wurden später auf 16,2 Milliarden Euro erhöht. Der Konzern wies deshalb im vergangenen Jahr den höchsten Verlust seiner Firmengeschichte aus.

Unterdessen verklagte einer der größten US-Pensionsfonds - der für Lehrer in Kalifornien - und weitere institutionelle Anleger den Wolfsburger Konzern wegen des Abgasskandals auf Schadensersatz. VW habe den Kapitalmarkt nicht rechtzeitig informiert Das habe bei den Mandanten zu Verlusten in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe geführt, teilte die Anwaltskanzlei Quinn Emanuel mit.

rtr