BÖRSE ONLINE: Welche Anbieter schaffen es, den Elektromotor massentauglich zu machen - Tesla?
Dirk Müller: Tesla ist als First-Mover vermutlich wie sooft die tragische Figur, die eine Entwicklung anstößt, aber deren Erfolg am Ende nicht erlebt. Ich traue unseren etablierten Autobauern - insbesondere beim Wasserstoff - hier viel zu. Die wahre Konkurrenz im Elektrobereich liegt in China.
Build your Dreams?
Dirk Müller: Nicht nur BYD, in China schießen derzeit riesige Elektroautofabriken aus dem Boden von Herstellern, die in Europa noch kaum jemand gehört hat. Nio oder Byton seien hier exemplarisch genannt.
Zurück zu Tesla. Gelingt Chef Elon Musk mit dem Model 3 der Durchbruch auf den Massenmarkt?
Dirk Müller: Tesla hat bis heute nicht bewiesen, dass sie Massenproduktion können. Damit steht und fällt der Erfolg von Tesla. Zwischen Handarbeit und industrieller Massenproduktion liegen Welten. Die perfekten Abläufe in einem Werk von Daimler zeigen: Viele Jahrzehnte an Optimierung waren für diese reibungslosen Prozesse nötig. Das kann man nicht über Nacht aufbauen.
In Deutschland müssen Kunden auf das Model 3 zwölf Monate warten. Kann Tesla die Lieferzeit verkürzen?
Dirk Müller: Ich war schon immer skeptisch, ob Tesla das schaffen wird. Dabei bleibe ich, bis Elon Musk das Gegenteil beweist.
Wie können es die deutschen Autobauer schaffen, in Bezug auf Elektroautos nicht von Tesla überholt zu werden?
Eike Wenzel: Indem sie begreifen, dass es nicht darum geht, den Verbrenner-Markt in einen Elektro-Markt zu verwandeln. Es geht stattdessen um Disruption, um einen radikalen Wandel zur vernetzten Nutzung. Wie bei vielen anderen Disruptionen - wie MP3, Digitalfotografie oder Suchmaschinen - geht es um ein radikal neues Marktmodell.
Disruption bedeutet vereinfacht gesagt, dass eine neue Erfindung eine Bestehende verdrängt. Was wäre das in der Automobilbranche?
Dirk Müller: Die Zukunft der deutschen Autobauer liegt nicht im Verkauf von Autos, sondern in der Organisation von Mobilität. Das haben die Auto-Konzerne verstanden und arbeiten fieberhaft an den Konzepten. Dazu müssen sie dringend eng zusammenarbeiten, was ihnen aber durch die "plötzlichen" Kartellvorwürfe aus der Vergangenheit erschwert wird. Da traut sich kaum ein Ingenieur beim Mitbewerber anzurufen um neue Standards oder Entwicklungskooperationen voranzubringen.
Was wird für die deutschen Autobauer am Schwierigsten in Bezug auf Elektromobilität?
Eike Wenzel: Ich fürchte, am schmerzhaftesten wird die Einsicht sein, dass man Autos nicht mehr für die individuelle Nutzung baut. Daraus neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, das wird die große Kunst sein.
So etwas wie Car-Sharing?
Dirk Müller: Car-Sharing ist eine Variante. Für schwerwiegender halte ich die "Cars-on-Demand". Selbstfahrende Taxis mit entsprechend geringer Kostenstruktur. Das bedeutet selbstfahrende Fahrzeuge, die ihren Fahrer absetzen, danach selbständig zur Ladestation rollen und sich dann auf einem freien Parkplatz abstellen um rechtzeitig morgens vor der Tür des Passagiers auf dessen Einsteigen zu warten. Wer diese Meisterleistung vollbringt, dominiert die künftige Welt der Mobilität mehr, als derjenige, der nochmal 20 PS mehr unter die Haube zaubert.
Ist es grundsätzlich möglich, dass alle Autos elektrisch fahren?
Eike Wenzel: Das ist grundsätzlich vorstellbar, aber nicht wünschenswert, wenn wir den aktuellen weltweiten PKW-Bestand zugrunde legen.
... im Jahr 2015 gab es rund 1,3 Milliarden registrierte Kraftfahrzeuge weltweit...
Eike Wenzel: Gelingt es uns indes, autonome Mobilität zu organisieren, bräuchten wir nur noch 30 Prozent des PKW-Bestands von heute. Das würden dann nur noch Elektroautos sein.
Warum nur noch Elektroautos?
Dirk Müller: Zum einen sind autonome Fahrzeuge zwar in der Lage sich über Dockingsysteme selbständig aufzuladen, aber ganz sicher nicht den Benzintank zu füllen. Zum anderen wird der Verbrenner aus der Gesellschaft verdrängt. Wir sehen das in der jetzigen Hexenjagd auf den Diesel. Wenn man damit fertig ist, wird man sich auf gleiche Weise dem "giftigen" Benziner zuwenden. Ich prognostiziere einen künftigen Fahrzeugmix aus Elektro- und Wasserstoffantrieben, ähnlich dem heutigen Nebeneinander von Diesel und Benzin mit unterschiedlichen regionale Schwerpunkten. Europa wird einen höheren Wasserstoffanteil haben, China einen höheren Elektroanteil. Für beide Systeme gibt es anwendungsspezifische Vorteile.
Welche Vorteile wären das?
Dirk Müller: In Bereichen mit engmaschiger urbaner Infrastruktur und eher kurzen Fahrstrecken ist der Elektroantrieb von Vorteil. Aber für Langstrecke, Transeuropa-LKW die auch mal in Bereiche fahren, in denen keine Schnelladestationen stehen oder auch weitläufige Gebiete wie Skandinavien oder Russland ist eine Wasserstoffversorgung mit Tanks einfacher aufzubauen als eine Stromtrasse zu verlegen. Gleiches gilt für den Schiffsverkehr.
Wo lauern die größten Hindernisse?
Eike Wenzel: Die Autobauer hoffen, dass Elektromobilität und autonomes Fahren heißt, einfach neue, andere, Autos zu kaufen. Aber genau darum geht es nicht. Autonomes Fahren würde deutlich weniger Fahrzeuge auf die Straße bringen, weil es nur noch um Nutzung von Mobilität ginge, nicht mehr um den Kauf von Automobilität.
Dirk Müller: Alles steht und fällt mit der Ladeinfrastruktur. Hier scheinen wir bewusst den Aufbau der Elektrosäulen verzögern zu wollen. Ich vermute, dass man Zeit gewinnen möchte um den Wasserstoff an den Start zubekommen. In dieser Technologie sind die deutschen Hersteller entgegen dem Elektroantrieb wieder deutlich voraus. Auch die Gasindustrie (Schell) hat daran großes Interesse.
BO: In Zeiten der Energiewende: Woher kommt der Strom für Elektroautos?
Eike Wenzel: Aus erneuerbaren Quellen. Es befinden sich deutlich weniger Autos auf der Straße, die aber permanent in Betrieb sind.
Dirk Müller: Hier wird sowohl der Bedarf als auch die Problematik oft überzeichnet. Der Strombedarf wäre bereits heute problemlos zu decken. Insbesondere, wenn es einen Mix mit Wasserstoff gibt, der problemlos aus Erdgas erzeugt wird, bis die erneuerbaren das notwendige Ausbauniveau erreicht haben und der Windstrom dann sinnvoll in Wasserstoff gespeichert werden kann.
Welche Infrastruktur braucht es außer den Ladesäulen?
Dirk Müller: Wir brauchen die Infrastruktur der Elektro- und Wasserstoffladestationen, aber auch die Leitungssysteme für den Strom sowie die komplette Wasserstoffinfrastruktur inklusive der Umwandlung von Erdgas in Wasserstoff und dessen Transport und Lagersystemik. Die Industrie arbeitet intensiv daran.
Besteht nach dem Elektromotor überhaupt die Nachfrage?
Dirk Müller: Die Nachfrage ist absolut da, das hören Sie in jedem Gespräch. Das einzige, was den Durchbruch bislang verhindert ist eine flächendeckende Ladeinfrastruktur und Schnellladesysteme, deren Durchbruch auch dank neuer Akkugenerationen wie Glas- oder Feststoffakkus in wenigen Jahren erfolgen dürfte.
Elektroautos sind sehr teuer. Wie kann das massentauglich werden?
Eike Wenzel: Am teuersten ist die Batterie. Elektro-Autos bestehen aus viel weniger Einzelteilen, die in hohem Maße aus dem 3D-Drucker kommen werden. Das alles führt dazu, dass die Autos schon bald deutlich günstiger werden.
Dirk Müller: Das ist wie so oft eine Frage der Skaleneffekte. Massenproduktion senkt die Kosten stark, neue Akkugenerationen werden das Problem obsolet machen.
Wann fährt die breite Masse elektrisch?
Dirk Müller: Dazu gab es schon viele Prognosen, die sich alle überholt haben. Ich wage hier keine Prognose, würde mich aber nicht wundern, wenn es plötzlich sehr schnell geht. Wir haben bei Durchbruchtechnologien immer eine Hockeystick-Entwicklung mit langem, zähem Anlauf und dann explosiver Dynamik.
Zur Person: Dirk Müller ist Buchautor und Fondsmanager. Er ist auch Herausgeber der Studie Cashkurs-Trends.de. Eike Wenzel ist Gründer und Leiter des Instituts für Trend- und Zukunftsforschung (ITZ).