Für Wirecard läuft es wie am Schnürchen - das beweisen auch die Zahlen zum ersten Halbjahr. Von Januar bis Juni habe sich das Wachstum weiter beschleunigt, so dass der Zahlungsabwickler äußerst optimistisch in das zweite Halbjahr blicke, sagte Konzernchef Markus Braun am Mittwoch in Aschheim bei München.

Im zweiten Halbjahr stieg der Umsatz von Wirecard um gut 37 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr. Beim Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) verbuchte der Dax-Konzern ein Plus von knapp 36 Prozent auf 342 Millionen Euro.

Prognose abermals angehoben


Das starke Wachstum stimmt Wirecard optimistischer. Deshalb hob Braun die Erwartungen erneut an - erst im Mai hatten die Aschheimer die Ziele nach oben geschraubt. Für 2019 rechnet der Konzern nun mit einem Ebitda in der Spanne von 765 Millionen bis 815 Millionen Euro. Davor hatte Wirecard ein Plus zwischen 760 Millionen und 810 Millionen Euro angepeilt.

Auch für 2020 trauen sich die Bayern mehr zu. Im kommenden Jahr soll der Umsatz bei einem erwarteten Transaktionsvolumen von mehr als 230 Milliarden Euro auf gut 3,2 Milliarden Euro anziehen. Wachstum verspricht sich der Dax-Konzern vor allem durch die neu geschlossenen Kooperationen mit Aldi Süd und Aldi Nord sowie dem japanischen Technologieinvestor Softbank.

Neukundenwachstum nicht mehr ganz so rasant


Doch nicht alles kann so überzeugen. Das potenzielle Transaktionsvolumen aus Neukundenabschlüssen - eine vielbeachtete Kennzahl von Analysten - betrug 34,6 Milliarden Euro. Das ist gegenüber dem Vorjahreswert ein Plus von rund 15 Prozent. Klingt erst einmal gut, doch Experten hatten sich hier mehr erhofft. Denn die Kennziffer ist ein Indikator dafür, wie viele Zahlungen in Zukunft zusätzlich über Wirecard abgewickelt werden könnten. In den vergangenen Halbjahren hatten die Bayern hier einen deutlich höheren prozentualen Zuwachs vermeldet.

Das langsamere Wachstum bei dem möglichen Transaktionsvolumen bei neu dazugewonnenen Kunden sei unter anderem auf die hohen Vorjahreswerte zurückzuführen, sagte eine Wirecard-Sprecherin. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sei absolut gesehen ein neuer Rekord erreicht worden. Zudem habe der Zahlungsdienstleister noch in keinem Halbjahr so viele großvolumige Abschlüsse getätigt.

Ein Halbjahr der Höhen und Tiefen


Die ersten beiden Quartale war für den Dax-Konzern alles andere als einfach. Ende Januar war Wirecard nach Berichten der Wirtschaftszeitung Financial Times (FT) unter massiven Druck geraten - die Aktie daraufhin extrem eingebrochen. Konnten die Bayern zwar bisher immer alle Verdächtigungen abschütteln, musste das Unternehmen diesmal zumindest einräumen, dass es "Qualitätsmängel" in der Buchhaltung gab. Daraufhin mussten einige Buchungen korrigiert werden. Möglicherweise haben sich auch Mitarbeiter in Singapur strafbar gemacht.

Bei mehreren Behörden laufen noch Ermittlungen zu dem Fall. Obwohl der Dax-Konzern Betrug und systematische Luftbuchungen für ausgeschlossen sieht. Sowohl die Münchner Staatsanwaltschaft als auch die Finanzaufsicht Bafin gehen zudem davon aus, dass es eine gezielte Attacke von Börsenspekulanten gab.

Die FT wirft Wirecard hier vor, mit sogenannten Shortsellern Geschäfte gemacht zu haben. Bei solchen Leerverkäufen setzen Anleger auf fallende Aktienkurse und verdienen dadurch Geld. Geplante Aktionen wie die Streuung falscher Informationen, um den Kurs absichtlich zu drücken, sind illegal. Bereits in der Vergangenheit musste sich Wirecard mehrmals gegen solche Shortseller-Attacken wehren.

Womit verdient Wirecard eigentlich Geld?


Das Geschäftsfeld von Wirecard ist für viele nicht transparent und dadurch schwer zu verstehen. Die Aschheimer wickeln als Zahlungsdienstleister für Einzelhändler, Flug- und Bahnkonzerne sowie Telekommunikationsfirmen Zahlungen ab und kassieren dafür Geld.

Profitieren kann Wirecard dabei natürlich vom boomenden Online-Handel. Hier setzt der Konzern vor allem auf die Auswertung von Online-Bezahldaten, um Kunden Zusatzangebote wie Kredite oder Versicherungen anbieten zu können.

Aufgebaut ist Wirecard in drei Bereiche: Das Kernsegment mit der Zahlungsabwicklung & Risikomanagement, die Akquisition & Emission und dem kleinsten Bereich bestehend aus Call Center & Kommunikationsdienstleistungen.

Einschätzung der Redaktion


Die vorgelegten Quartalszahlen kamen am Mittwoch bei den Anlegern nicht sonderlich gut an. Offenbar hatten die Investoren bereits im Vorfeld mit einer Anhebung der Prognose gerechnet und nahmen jetzt Gewinne mit. Die Wirecard-Aktie notiert im Minus und zählt am Nachmittag zu den Verlierern im Dax.

Nach den FT-Berichten war das Papier zwischenzeitlich bis auf 86 Euro abgestürzt. Inzwischen kostet die Aktie mit rund 149 Euro fast so viel wie vor den Vorwürfen. Das Rekordhoch bei 199 Euro ist aber noch in weiter Ferne. Damals hatte der Aufstieg in den Dax beflügelt.

Der Zahlungsabwickler hatte das Urgestein Commerzbank aus dem Leitindex verdrängt. Mit einem Börsenwert von zuletzt etwas mehr als 18 Milliarden Euro ist Wirecard immer noch deutlich mehr wert als die Deutsche Bank (14 Milliarden) und die Commerzbank (Sieben Milliarden).

Charttechnisch stabilisiert sich der Kurs seit Anfang Juni zwischen 140 und 155 Euro. Unterstützung findet das Papier bei der viel beachteten 200-Tagelinie bei knapp 137 Euro. Der nächste Widerstand liegt bei rund 170 Euro - dort notierte der Kurs, bevor die FT die Berichte veröffentlichte. Hier setzen wir unser neues Kursziel.

Seit Anfang des Jahres reagierten die Anleger erstmals auf das operative Geschäft nicht - wie gewohnt - positiv. Das exzellente Wachstum könnte bei einigen Marktteilnehmern zur Gewohnheit geworden sein und die Erwartungen ins Unermessliche getrieben haben, erklärt NordLB-Analyst Wolfgang Donie die Situation. Auch ist die Wirecard-Aktie ein sehr volatiles Papier, das immer wieder mit extremen Kursschwankungen auffällt. Deshalb lassen wir die Aktie auf Beobachten.

Empfehlung: Beobachten
Kursziel: 170,00 Euro
Stoppkurs: 100 Euro


Mit Material von dpa-AFX