Hedgefonds habe ihre Wetten auf fallende Wirecard-Aktien deutlich erhöht. Die Netto-Leeverkaufspositionen liegen inzwischen bei fast 17 Prozent, wie am Freitag aus Daten des Bundesanzeigers hervorging. Am Mittwoch, bevor der Bilanzskandal um Wirecard so dramatische Züge annahm, waren noch zehn Prozent der Wirecard-Aktien an Spekulanten ausgeliehen. Die größte Position hält mit 2,5 Prozent inzwischen der Hedgefonds Coatue. Auf den US-Fonds TCI mit seinem prominenten Manager Chris Hohn entfallen gut 1,5 Prozent.

Mit Leerverkäufen wetten Anleger auf fallende Kurse. Dabei verkaufen sie Wertpapiere, die sie sich zuvor gegen eine Gebühr leihen. Sinkt der Preis bis zum Rückgabe-Datum, können sie sich am Markt billiger mit den Titeln eindecken und streichen die Differenz ein. Steigt der Kurs dagegen, droht den Leerverkäufern Verlust. Die Aktien von Wirecard hatten am Donnerstag mehr als 60 Prozent verloren, am Freitag rauschten sie um weitere 35 Prozent in die Tiefe.

Firmenchef Markus Braun versuchte, den Vertrauensverlust der Anleger zu stoppen, und erklärte in einer Stellungnahme per Video, Wirecard sei womöglich Opfer eines milliardenschweren Betrugs.

"Auch wenn der Vorstand des deutschen Zahlungsabwicklers wie ein Blitzableiter weiterhin die Schuld von sich weist, droht jetzt eine Klagewelle gegen den Konzern", sagte Börsenexperte Jochen Stanzl vom Brokerhaus CMC Markets. "Die Investoren fragen sich, warum man erst jetzt handelt, nachdem die Ungereimtheiten schon monatelang nicht ausgeräumt werden konnten." Analysten der US-Bank Citi strichen Wirecard wie andere Analysten schon zuvor komplett von ihrer Beobachtungsliste.

Im September 2018, als der erst vor gut zwei Jahrzehnten gegründete Zahlungsabwickler die 150 Jahre alte Commerzbank aus dem Dax verdrängte, kostete eine Wirecard-Aktie noch fast 200 Euro. Firmenchef Braun wurde als Visionär gefeiert, der den angestammten Banken mit seinem Geschäftsmodell das Fürchten lehren sollte. Nun steht das Unternehmen aus einem kleinen Münchener Vorort im Zentrum eines milliardenschweren Bilanzskandals. Wirtschaftsprüfer von EY können 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten bei Banken in Asien liegen sollen, nicht mehr auffinden.

"Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Wirecard AG in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes zum Geschädigten geworden ist", sagte Braun in dem Video https://www.youtube.com/watch?v=ssAaEzfxrEE&feature=youtu.be, das in der Nacht zu Freitag online gestellt wurde. Es sei aktuell unklar, warum die beiden Banken, die im Auftrag von Wirecard Treuhandkonten verwaltet hätten, dem Wirtschaftsprüfer EY gegenüber erklärt hätten, Bestätigungen über dort angelegte Milliardensummen seien gefälscht.

Die zwei philippinischen Banken BDO Unibank und Bank of the Philippine Islands (BPI), die in Medienberichten als die betroffenen Partnerbanken genannt wurden, dementierten, mit Wirecard eine Geschäftsbeziehung zu führen. Dokumente, die externe Prüfer von Wirecard vorgelegt hätten, seien gefälscht, erklärte BPI. Darüber hinaus teilte BDO mit, Dokumente, die ein Konto von Wirecard bei der Bank bestätigen sollten, trügen gefälschte Unterschriften von Bankenvertretern.

EIN VORSTAND MUSSTE BEREITS GEHEN


Durch die erneute Verschiebung des Jahresabschlusses 2019 könnte Wirecard Probleme mit seinen Banken bekommen. Kredite in Höhe von rund zwei Milliarden Euro können Wirecard zufolge nur dann verlängert werden, wenn dieser Abschluss vorliegt. Die Verhandlungen mit den Instituten liefen auf Hochtouren, sagte ein Insider. Generell können Banken Verlängerungen von Krediten an Bedingungen knüpfen und etwa einen Konzernumbau verlangen oder personelle Änderungen im Management.

Auch von Seiten der Deutschen Börse droht Ärger. Weil die Frist für die Veröffentlichung des Geschäftsberichts bereits im April abgelaufen ist, prüft die Frankfurter Wertpapierbörse schon seit dieser Zeit die Einleitung eines Sanktionsverfahrens. Diese Prüfung dauere noch an, sagte ein Sprecher der Deutschen Börse. Bei Verstößen gegen Börsenpflichten droht Wirecard ein Bußgeld von bis zu einer Million Euro. Ein unmittelbares Herausfallen aus dem Dax droht aber nicht. Die nächste standardmäßige Überprüfung des Index steht erst Anfang September an. Außerhalb der Reihe werden Indizes nur neu zusammengestellt, wenn Firmen fusionieren oder übernommen werden.

Der Aufsichtsrat zog bereits erste personelle Konsequenzen aus dem Bilanzdebakel und stellte den für das Tagesgeschäft verantwortlichen Vorstand Jan Marsalek mit sofortiger Wirkung frei. Seinen Job übernimmt James Freis, der neu in den Vorstand kommt und eigentlich am 1. Juli erst hätte starten sollen. Unklar sei, was mit den weiteren offenen Posten im Management sei und ob die Personen, mit denen man bereits gesprochen habe, nun für einen Wechsel bereit seien, sagte ein Insider. Wirecard hatte vor ein paar Wochen angekündigt, weitere Vorstände und auch Aufsichtsräte zu suchen. Investoren hatten kritisiert, die Gremien seien im Vergleich zu anderen Dax-Konzernen zu klein.

Münchner Staatsanwaltschaft nimmt Wirecard weiter unter die Lupe


Die Saatsanwaltschaft München will sich bei ihrem Vorgehen im Fall Wirecard vorerst nicht in die Karten schauen lassen. "Wir ermitteln insgesamt ergebnisoffen im gesamten Sachverhalt Wirecard, einschließlich der aktuellen Ereignisse", teilte eine Sprecherin am Freitag mit. Wirecard wird von einem Bilanzskandal erschüttert.

Die Strafverfolger hatten Ermittlungen gegen die bisherigen vier Vorstandsmitglieder aufgenommen. Diese werden beschuldigt, den Markt über eine Sonderprüfung durch KPMG nicht korrekt informiert zu haben. Wirecard hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Zudem steht eine Reihe von Anlegern und Journalisten seit längerer Zeit im Visier der Ermittler, ebenfalls wegen des Verdachts der Marktmanipulation.

Im Zusammenhang mit dem Bilanzskandal hat die Staatsanwaltschaft München nach eigenen Angaben keine Anzeige der Wirecard erhalten und erwartet auch keine. "Möglichweise sollte diese Anzeige im Ausland erstattet werden", erläuterte die Sprecherin. Die Ermittlungen in Deutschland seien laut Gesetz in diesem Fall ohnehin nicht davon abhängig, ob jemand Anzeige erstatte.

rtr