LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Die Perspektiven für Bayer haben sich zuletzt aufgehellt. Das Agrargeschäft scheint nach der Integration von Monsanto in Schwung zu kommen und in der Pharmasparte gab es zuletzt positive Nachrichten zu neuen Medikamenten. Das für den Aktienkurs bestimmende Thema bleibt aber erst einmal der US-Glyphosat-Streit. Hier steht aber voraussichtlich noch bis zum Sommer eine wegweisende Entscheidung des US Supreme Court an, des obersten Gerichts der USA. Was bei Bayer los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI BAYER:

Nachdem das Agrargeschäft nach der Übernahme des US-Saatgutkonzerns Monsanto im Jahr 2018 bislang überwiegend den Erwartungen hinterhergelaufen war, gab es im dritten Quartal 2021 endlich deutliche Anzeichen einer Verbesserung. Eine hohe Nachfrage nach Saatgut und vor allem nach Pflanzenschutzmitteln lieferte Rückenwind.

Das dürfte sich zuletzt fortgesetzt haben, denn die Agrarmärkte laufen stark, Feldfrüchte erzielen hohe Preise. Beim wichtigen Umsatzbringer Glyphosat drückt aktuell zwar ein vorübergehender Ausfall eines Rohstofflieferanten auf die Produktion des Unkrautvernichters; da Glyphosat auf dem Weltmarkt aber bereits knapp ist, dürfte das den Verkaufspreis weiter nach oben treiben.

Neue Agrarprodukte sollten das Wachstum mittelfristig weiter anschieben. Dazu zählen unter anderem kurzwüchsiger Mais, der weniger windanfällig ist, und Sojabohnen mit einer Toleranz gegenüber gleich fünf verschiedenen Unkrautvernichtern. Nachdem der langjährige Crop-Science-Chef Liam Condon Bayer Ende 2021 verlassen hatte, steht nun der erfahrene Manager Rodrigo Santos an der Spartenspitze.

Das Pharmageschäft von Bayer wird nach wie vor von den beiden Kassenschlagern Xarelto, einem Gerinnungshemmer, sowie dem Augenmedikament Eylea stark bestimmt. Beide liefern Milliardenumsätze, die in wenigen Jahren aber wegen wegfallender Patente schrumpfen werden. Immerhin: Im Herbst hatte Bayer einen Etappensieg im Streit mit Generikaherstellern errungen. Nach der Entscheidung des Europäischen Patentamts ist das Patent auf Xarelto weiterhin bis Mitte Januar 2026 gültig, zumindest bis einzelne EU-Länder anders entscheiden.

Mittelfristig braucht es dennoch neue Medikamente, um das Wachstum der Pharmasparte anzutreiben. Mit dem Nierenmedikament Kerendia und Nubeqa gegen Prostatakrebs gab es hier zuletzt Fortschritte. Für Nubeqa rechnet Bayer infolge positiver Studiendaten seit Kurzem in der Spitze mit Umsätzen von mehr als drei Milliarden Euro pro Jahr. Um die perspektivisch geringeren Xarelto- und Eylea-Erlöse aufzuwiegen, dürfte aber laut Analysten wegen eines geringeren Blutungsrisikos auch der Medikamentenkandidat Asundexian als potenzieller Xarelto-Nachfolger eine wichtige Rolle spielen.

Langfristig verspricht sich Bayer durch neuartige Gen- und Zelltherapien Rückenwind. In diesem Bereich kauften die Leverkusener in den vergangenen Jahren kräftig zu und gingen auch Kooperationen ein.

Im Fokus steht daneben der US-Rechtsstreit um angebliche Krebsrisiken glyphosathaltiger Unkrautvernichter. In dem bereits milliardenteuren Streit kann sich Bayer seit Ende vergangenen Jahres durchaus Hoffnung machen. Denn das oberste US-Gericht könnte einen wegweisenden Fall in der Causa zur Überprüfung annehmen. Zunächst aber will der US Supreme Court die Meinung der US-Regierung einholen, vertreten durch den sogenannten Solicitor General einholen. Der bekleidet einen der Top-Posten im US-Justizministerium und ist so etwas wie der oberste Anwalt der USA, der die Regierung unter anderem vor dem obersten US-Gericht vertritt.

Gemäß der üblichen Zeitpläne dürften die Richter bis Ende Juni entscheiden, ob sie den Fall zulassen. Sollte es zur Verhandlung kommen, hätte das Urteil Signalwirkung. Von einem möglichen Sieg versprechen sich die Leverkusener, die Streitigkeiten im Grunde beenden zu können.

Bayer hatte sich die teuren Rechtskonflikte rund um das glyphosathaltige Roundup 2018 mit dem über 60 Milliarden Dollar teuren Kauf des US-Saatgutriesen Monsanto ins Haus geholt. Nach einer ersten Gerichtsschlappe im Sommer 2018 war die Zahl der Kläger rasant gestiegen.

Wegen der Übernahme hat Bayer mittlerweile auch in Deutschland rechtlichen Ärger am Hals, ein Kapitalanleger-Musterverfahren droht. Bayer weist die erhobenen Anschuldigungen indes zurück. "Wir halten die Klagen wegen angeblich fehlerhafter Kapitalmarkt-Kommunikation im Zusammenhang mit der Monsanto-Akquisition für unbegründet", hieß es im Dezember.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Insgesamt blicken Branchenkenner zuversichtlich auf Bayer und die Aktien. Von den 17 seit der Vorlage der Quartalszahlen im Herbst erfassten Analysten raten 13 zum Kauf und vier zum Halten der Papiere. Eine Verkaufsempfehlung gibt es nicht. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei knapp 68 Euro und damit klar über dem aktuellen Kurs.

Peter Verdult von Citigroup hob sein Kursziel Ende Januar von 48 auf 70 Euro an und sprach eine Kaufempfehlung aus. Nachdem Bayer seit 2014 keine überdurchschnittliche Entwicklung mehr hingelegt habe, könnte sich das nun ändern, schrieb er in einer Studie. Die Perspektiven im Glyphosat-Streit hätten sich verbessert, die Agrar-Geschäfte liefen gut und auch die Patentgeschichte rund um Xarelto schaue gut aus. Zudem verdeutliche die (Anm. d. Red. gescheiterte) - Milliardenofferte von Unilever für die Konsumgütersparte des britischen Pharmakonzerns Glaxosmithkline (GSK) den Wert der Consumer-Health-Sparte von Bayer rund um rezeptfreie Medikamente.

Mit Blick auf 2021 rechnen laut den von Bayer zur Verfügung gestellten Daten Analysten im Durchschnitt mit einem Umsatzplus von fast fünf Prozent auf 43,4 Milliarden Euro. Als Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) sollten demnach vor Sondereffekten knapp 11,2 Milliarden Euro hängen geblieben sein nach 11,5 Milliarden im vorangegangenen Jahr. Das entspräche für 2021 einer Marge von 25,7 Prozent.

Insgesamt blicken Analysten recht zuversichtlich auf die Entwicklung, verweisen aber auch auf höhere Vertriebs- und Marketingkosten im Pharmageschäft wegen der Verkaufsstarts von Kerendia und Nubeqa sowie wegen höherer Forschungskosten für schon recht weit entwickelte Medikamentenkandidaten.

Bayer-Chef Werner Baumann stellt für 2021 einen Umsatz von etwa 43 Milliarden Euro in Aussicht nach 41,4 Milliarden im Vorjahr. Als operatives Ergebnis (bereinigtes Ebitda) sollen davon 25,5 Prozent hängen bleiben, hieß es zuletzt im Herbst. Bereinigt um Wechselkurseffekte entspricht dies einem Umsatz von etwa 44 Milliarden Euro sowie einer operativen Gewinnmarge von etwa 26 Prozent.

Da sich Schadenersatzzahlungen in den US-Rechtsstreitigkeiten um angebliche Krebsrisiken glyphosathaltiger Unkrautvernichter ins Jahr 2022 verschieben, hatte Bayer im Herbst die Prognose für den freien Mittelfluss 2021 angepasst. Seither steht ein Free Cashflow von etwa minus 0,5 bis minus 1,5 Milliarden Euro auf dem Plan, nach zuvor bis zu minus 3 Milliarden Euro.

Für 2022 haben Analysten nun im Mittel einen Umsatz von 45,6 Milliarden Euro auf dem Zettel sowie ein bereinigtes operatives Ergebnis von 12,2 Milliarden Euro.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Bayer-Aktien konnten sich zuletzt von ihrem Zwischentief um die 44 Euro Ende 2021 ein gutes Stück erholen auf aktuell rund 52 Euro. Seit mehr als einem Jahr schon pendeln sie mit größeren Ausschlägen um die Marke von 50 Euro.

Größeres Erholungspotenzial dürfte allerdings erst nach einer Lösung der Causa Glyphosat entstehen. Zwar erschienen die Aktien sehr günstig bewertet, doch mache es der Rechtsstreit schwer, neue Investoren anzuziehen, schrieb Analyst Alistair Campbell vom Investmenthaus Liberum zuletzt in einer Studie.

So hatten die Niederlagen in den Glyphosat-Prozessen ab Mitte 2018 den schon seit 2015 bestehenden Abwärtstrend befeuert. Der wäre auf aktueller Basis erst bei Kursen um die 80 Euro überwunden. Davor liegen noch einige charttechnische Widerstände, etwa um die 55 Euro.

Seit dem ersten Glyphosat-Urteil gegen Bayer im August 2018 beläuft sich das Kursminus auf etwa 44 Prozent, von dem im Frühjahr 2015 erreichten Rekordhoch von 146,45 Euro aus gerechnet ging es sogar um fast zwei Drittel abwärts. Selbst wenn man die seither gezahlten Dividenden einrechnet, wird das Minus nicht viel kleiner. Der deutsche Leitindex ist in diesem Zeitraum um gut 15 Prozent gestiegen.

In Sachen Börsenwert lag Bayer zuletzt mit rund 50,5 Milliarden Euro im vorderen Mittelfeld des Dax. Im April 2015 auf Rekord-Kursniveau hatte der Konzern mit einer Marktkapitalisierung von rund 120 Milliarden Euro noch den Spitzenplatz im deutschen Leitindex inne. Damals konnte nur Volkswagen (VW) dem Bayer-Konzern in Sachen Börsenwert knapp das Wasser reichen. Derzeit ist der Industriegase-Konzern Linde mit 130 Milliarden Euro Dax-Spitzenreiter./mis/tav/he

Quelle: dpa-Afx