LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Der jüngste Rückschlag im US-Glyphosat-Rechtsstreit hat die Aktionäre des Pharma- und Agrarchemiekonzerns Bayer
DAS IST LOS BEI BAYER:
Bayer-Chef Werner Baumann setzte viel Hoffnung auf die Verhandlung eines Glyphosat-Verfahrens vor dem Supreme Court. Würden die Richter des obersten US-Gerichts der Überprüfung eines Urteils zugunsten des Klägers Edwin Hardeman zustimmen und für Bayer entscheiden, könnten die Leverkusener das Thema wegen der Signalwirkung für künftige Kläger wohl abhaken. Hardeman waren 2019 nach einem Gerichtsprozess gut 25 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen worden. Bayer hoffte, dass der Supreme Court die Entscheidung kippt. Doch die Regierung, vertreten durch den sogenannten Solicitor General, sprach sich Mitte Mai gegen eine Verhandlung aus. Das ist zwar nicht bindend für den Supreme Court, macht einen Prozess aber unwahrscheinlich.
Für den Fall einer Ablehnung des Verfahrens oder einer Niederlage sorgte Bayer allerdings schon im vergangenen Jahr vor, mit einer Rückstellung von 4,5 Milliarden Dollar. Zudem soll in den USA der Unkrautvernichter Roundup ab 2023 in der Version für private Käufer kein Glyphosat mehr enthalten. Das dürfte das Risiko künftiger Klagen deutlich reduzieren, da bisherige Klagen zum weitaus größten Teil von Privatkonsumenten und eben nicht von Landwirten kamen.
Insgesamt hatte Bayer per Ende 2021 noch 7,5 Milliarden US-Dollar (7 Mrd Euro) auf die Seite gelegt, um sich mit aktuellen und künftigen Klägern einigen zu können. Analysten halten das auf aktueller Basis für eine realistische Größenordnung, sehen zunächst kaum weiteres finanzielles Ungemach in den teuren Streitigkeiten um angebliche Krebsrisiken glyphosathaltiger Herbizide, die sich Bayer 2018 mit dem über 60 Milliarden Dollar teuren Kauf des US-Saatgut-Konzerns Monsanto ins Haus geholt hatte. Nach einer ersten Gerichtsschlappe im Sommer 2018 war die Zahl der Kläger rasant gestiegen.
2020 einigte Bayer sich dann auf eine Grundsatzvereinbarung mit den Klägern, ohne Schuldeingeständnis. Damit sollten die meisten der Klagen vom Hof gebracht werden. Bis zum 1. Februar 2022 wurden laut dem aktuellen Geschäftsbericht von insgesamt rund 138 000 angemeldeten Ansprüchen etwa 107 000 verglichen oder sie erfüllten die Vergleichskriterien nicht.
Im Tagesgeschäft läuft es indes rund bei dem Dax-Konzern
Im ersten Quartal legte die Agrarsparte denn auch deutlich zu. Im Pharmageschäft lief es nicht ganz so schwungvoll, was aber auch an den Kosten für die Einführung neuer Medikamente wie dem Nierenmedikament für Diabetiker Kerendia und Nubeqa gegen Prostatakrebs lag. Den Geschäftsausblick für 2022 bestätigte das Management trotz eines insgesamt starken Jahresauftakts zwar "nur", blieb hier aber bewusst konservativ. Sollte das Konjunkturumfeld bleiben, wie es derzeit sei, würde es sehr gut aussehen, sagte die Unternehmensführung Anfang Mai in einer Telefonkonferenz mit Analysten.
Derweil wird das Pharmageschäft von Bayer noch von den beiden Kassenschlagern Xarelto, einem Gerinnungshemmer, sowie dem Augenmedikament Eylea bestimmt. Beide liefern Milliardenumsätze, die in den kommenden Jahren aber wegen wegfallender Patente schrumpfen werden. Umso wichtiger ist der Erfolg neuer Medikamente. Für Nubeqa etwa rechnet Bayer infolge positiver Studiendaten seit Kurzem in der Spitze mit Umsätzen von mehr als drei Milliarden Euro pro Jahr.
Zudem spielt der Medikamentenkandidat Asundexian als potenzieller Xarelto-Nachfolger eine wichtige Rolle. Hierzu legte Bayer Anfang April positive Daten einer Phase-II-Studie zur Behandlung von Patienten mit Vorhofflimmern (Herzrhythmusstörung) und Schlaganfallrisiko vor. Dabei ist Asundexian ein sogenannter Faktor XI-Hemmer, eine noch junge Wirkstoffklasse, von der sich Experten geringere Blutungsrisiken als bei aktuellen Blutgerinnungshemmern wie Apixaban (Handelsname Eliquis) von Bristol-Myers Squibb (BMS)
Langfristig verspricht sich Bayer dann durch neuartige Gen- und Zelltherapien Rückenwind. In diesem Bereich kauften die Leverkusener in den vergangenen Jahren kräftig zu und gingen auch Kooperationen ein.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Mit der Agrarerholung und dem sich abzeichnenden Erfolg neuer Medikamente wurden auch die Analysten in den vergangenen Monaten optimistischer. Lag das durchschnittliche Kursziel der von der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX erfassten Analysten im Februar noch bei knapp 68 Euro, sind es mittlerweile gut 77 Euro. Aktuell kosten die Papiere gut 61 Euro. 13 der erfassten 17 Experten raten denn auch zum Kauf. Eine Verkaufsempfehlung gibt es nicht, lediglich vier neutrale Stimmen. Dabei sehen nur die Analysten des Investmenthauses Oddo BHF auf dem aktuellen Kursniveau ein Rückschlagrisiko.
Peter Verdult von der US-Bank Citigroup ist mit einem Kursziel von 106 Euro am optimistischsten. Sollte der Gerinnungshemmer Asundexian zugelassen werden, traut er ihm einen Jahresspitzenumsatz von mehr als sechs Milliarden US-Dollar zu. Auch Alistair Campbell vom Investmenthaus Liberum sieht in dem Mittel einen womöglich noch größerer Erfolgsbringer als in Xarelto.
Neben dem Potenzial von Asundexian betonte Michael Leuchten von der schweizerischen Großbank UBS in einer aktuellen Studie, dass Bayer mit neuen, schon zugelassenen Medikamenten die Umsatzlücke durch auslaufende Xarelto-Patente - und damit in den kommenden Jahren zunehmende Konkurrenz - gering halten dürfte. Er steht exemplarisch für den Meinungswandel vieler Analysten infolge guter Studiendaten zu Mitteln wie Kerendia und Nubeqa, nachdem die Patentlücke in den vergangenen Jahren vielen Experten noch Kopfschmerzen bereitet hatte.
Und auch für das Agrargeschäft sind Experten zuversichtlich. Die Preise für Feldfrüchte dürften noch eine ganze Weile recht hoch bleiben, schrieb Gunther Zechmann von Bernstein Research unlängst. Und Analyst Andrew Stott, ebenfalls von UBS, sieht Bayer als einen der Profiteure einer Verlängerung des laufenden Agrarzyklus ins kommende Jahr hinein. Für eine solche Entwicklung spreche die, ungeachtet der historisch hohen Kosteninflation, immer noch gute Profitabilität in der Landwirtschaft. Und Sachin Jain von der Bank of America sieht auch angesichts der Rückstellungen für das Thema Glyphosat aktuell kein fundamentales Risiko mit Blick auf die anstehende Supreme-Court-Entscheidung. Es falle lediglich einer der potenziell positiven Kurstreiber weg.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Die Bayer-Aktien profitieren seit ihrem Zwischentief um die 44 Euro Ende 2021 von den insgesamt besser laufenden Geschäften. Bis Mitte April ging es hoch auf 67,99 Euro. Anschließend ging es Mitte Mai zwar ein Stück weit nach unten. Das war aber vor allem Gewinnmitnahmen nach der steilen Kurserholung sowie dem Dämpfer im Glyphosat-Rechtsstreit geschuldet. Aktuell fehlt wieder nicht mehr viel bis zum April-Hoch. Darüber wartete das höchste Niveau seit fast zwei Jahren.
Mit einem Kursplus von gut 43 Prozent ist Bayer der mit Abstand beste Dax-Wert 2022, während der deutsche Leitindex bislang um rund neun Prozent fiel.
Der schon seit 2015 bestehende Abwärtstrend, den die Niederlagen in den Glyphosat-Prozessen ab Mitte 2018 nochmals verschärft hatten, ist gleichwohl nach wie vor nicht gebrochen. Das wäre auf aktueller Basis erst bei Kursen über dem Bereich um die 73 Euro der Fall.
Seit dem ersten Glyphosat-Urteil gegen Bayer im August 2018 beläuft sich das Kursminus auf gut 28 Prozent, von dem im Frühjahr 2015 erreichten Rekordhoch von 146,45 Euro aus gerechnet ging es sogar um mehr als die Hälfte abwärts. Selbst wenn man die seither gezahlten Dividenden einrechnet, wird das Minus nicht viel kleiner. Der deutsche Leitindex ist in diesem Zeitraum um 16 Prozent gestiegen.
In Sachen Börsenwert liegt Bayer mit gut 65 Milliarden Euro knapp in den Top 10 des Dax. Im April 2015 auf Rekord-Kursniveau hatte der Konzern mit einer Marktkapitalisierung von rund 120 Milliarden Euro noch den Spitzenplatz im deutschen Leitindex inne. Damals konnte nur Volkswagen
Quelle: dpa-Afx