ROSTOCK (dpa-AFX) - Angesichts des geplanten Ausbaus der Windenergie auf See werden Forderungen nach einer deutlichen Beteiligung heimischer Werften laut. "Deutschland muss die Chance nutzen, Standort für den Bau von Offshore-Plattformen und Spezialschiffen zu werden", sagt Heiko Messerschmidt von der IG Metall Küste. Um die Klimaschutzziele und mehr Unabhängigkeit bei der Energieversorgung zu erreichen, werde die Windindustrie gebraucht - über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg.
Zusammen mit der Stiftung Offshore-Windenergie hat die Gewerkschaft für Freitag Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft nach Rostock eingeladen. Am dortigen Standort der insolventen MV Werften soll über die wirtschaftlichen Chancen des Ausbaus gesprochen werden. Ein Punkt sei etwa, wie die deutschen Werften auf den hohen Bedarf der Windindustrie an Offshore-Plattformen und Schiffen vorbereitet werden könnten. Auf der Teilnehmerliste stehen unter anderem die Maritime Koordinatorin der Bundesregierung, Claudia Müller, und Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Reinhard Meyer.
Neben Wind an Land und Solarenergie ist Wind auf See eine der tragenden Säulen beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Seit der zweiten Jahreshälfte 2020 ist der Ausbau der Offshore-Windkraft aber zum ersten Mal seit vielen Jahren komplett zum Erliegen gekommen. 2021 ging keine einzige Anlage zusätzlich ans Netz. Ende des Jahres hatte die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP dann in ihrem Koalitionsvertrag deutlich höhere Ausbauziele für die Offshore-Windenergie festgeschrieben.
Anstatt 20 Gigawatt (GW) bis 2030 und 40 GW bis 2040 sind nun 30 GW bis 2030, 40 GW schon bis 2035 und 70 GW bis 2045 vorgesehen. Die Dimension der Pläne wird beim Vergleich mit dem Ist-Zustand deutlich: Die Leistung aller Windparks vor der deutschen Nord- und Ostseeküste beträgt nach Angaben der Deutsche WindGuard GmbH derzeit 7,8 GW.
"Die Kapazitäten der deutschen Werften werden bei den ambitionierten Offshore-Wind-Ausbauplänen dringend gebraucht. Sie sind für die Energiewende systemrelevant", sagte die Geschäftsführerin der Stiftung Offshore-Windenergie, Karina Würtz, im Vorfeld des Fachgesprächs am Freitag. Ziel der Stiftung ist es, die Rolle der Windenergie auf See im deutschen Energiemix zu festigen und ihren Ausbau voranzutreiben.
Der internationale Wettbewerb wird laut Würtz in diesem Bereich immer dynamischer. So werde beispielsweise China wegen seiner eigenen Zubauziele den Zugriff auf asiatische Werften weiter intensivieren. Offshore-Plattformen mit deutschem Stahl in Dubai zu schweißen und diese dann in die Nordsee zu schleppen, könne weder klima- noch industriepolitisch gewollt sein. "Insbesondere dann nicht, wenn es heimische Möglichkeiten gibt", so Würtz weiter.
Und die gibt es. Der Werftschiffbau in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gewandelt. Das Massengeschäft mit Tankern, Fähren und Containerschiffen ist nach Angaben des Verbands Schiffbau und Meerestechnik (VSM) bereits vor langer Zeit gen Asien abgewandert. Nun konzentriere sich der Schiffbau hierzulande auf technologisch anspruchsvolle Bereiche wie Kreuzfahrtschiffe, große Jachten und Spezialfahrzeuge für Behörden und das Militär.
Nach einem Ordervolumen von durchschnittlich 4,3 Milliarden Euro pro Jahr war der Wert von Neubestellungen 2020 insgesamt auf weniger als eine Milliarde eingebrochen. Mit 49 Schiffen im Gesamtwert von 16,6 Milliarden Euro lag der Auftragsbestand des deutschen zivilen Seeschiffbaus damit auf dem niedrigsten Wert seit fünf Jahren. Aktuellere Daten liegen derzeit nicht vor.
Die IG Metall erhofft sich vom geplanten Ausbau der Windenergie auf See auch eine Zukunftsperspektive für die insolventen MV Werften in Mecklenburg-Vorpommern. Diese stünden mit ihrer hoch qualifizierten Belegschaft und ihrer Erfahrung aus früheren Projekten dafür bereit, sagt Messerschmidt. Nun seien Bundes- und Landesregierung gefordert, bei der Suche nach neuen Investoren zu helfen und mit Finanzierungen zu unterstützen.
Das Insolvenzverfahren für die MV Werften läuft seit dem 1. März. Zuletzt gab es dem dem Vernehmen nach mehrere Interessenten, darunter die Kieler U-Boot-Werft Thyssenkrupp
Quelle: dpa-Afx