Nach ihrem abgeschlossenen Jurastudium stieg Daniela Bergdolt bei der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) ein. Heute ist sie DSW-Vizepräsidentin und mit ihrer eigenen Kanzlei in München selbständig.

BÖRSE-ONLINE.de: Als Tochter des ehemaligen Löwenbräu-Vorstandschefs kamen Sie schon früh mit der Wirtschafts- und Finanzwelt in Berührung. Inwiefern hat Sie das für Ihre spätere Laufbahn geprägt?
Daniela Bergdolt: Mein Vater war sehr aktienaffin und hat deshalb schon früh in Aktien investiert. Das war auch beim Mittagstisch der Familie immer ein Thema. Als ich etwa zehn Jahre alt war, wurde ich an die Börsenwelt herangeführt. Mein Vater sagte zu mir, dass ich mir überlegen solle, in welche Aktien investieren möchte und dass wir diese dann von meinem Geld kaufen würden. Er hat mir verschiedene Papiere vorgestellt und wir haben sie besprochen. Ich habe mich schließlich für Mannesmann-Aktien entschieden und diese später mit einem sehr guten Gewinn verkauft. Darauf war ich vor allem als Kind sehr stolz. Diese Erfahrung hat den Grundstein für mein Interesse an Aktien gelegt.

Sie haben sich dann für ein Jura-Studium entschieden. Wäre da nicht beispielsweise BWL naheliegender gewesen?
Jura hat mir für meinen Weg ein breiteres Spektrum geboten. Damit kann man sich beispielsweise als Anwalt selbständig machen oder als Berater arbeiten, man kann aber auch in die Wirtschaft oder zu Banken gehen. Mit einem BWL-Studium wäre ich sehr wahrscheinlich einfach in einem Unternehmen gelandet. Das wollte ich aber nicht, da ich schon immer die Selbständigkeit angestrebt habe. Das war mir wahrscheinlich schon in die Wiege gelegt, da meine Mutter als Ärztin ihre eigene Praxis führte und mein Vater nach seiner Zeit bei Löwenbräu selbst als Anwalt und Berater tätig war.

Schon während des Studiums wurde Ihnen klar, dass die klassische Anwaltslaufbahn nichts für Sie wäre. Woran machten Sie das fest?
Als Studentin und Referendarin war ich unter anderem am Amtsgericht in München und habe bei Prozessen mitgearbeitet. Dort gab es eine Cafeteria, die war damals rauchverhangen. Hier saßen die Anwälte und haben die Verhandlungen besprochen und auf die nächsten Prozesse gewartet. Deren Tagesaufteilung war überwiegend so, dass sie am Vormittag bei Gericht waren, nachmittags ihre Mandanten gesehen haben und abends wurde dann diktiert. Da wurde mir klar, dass ich das nicht machen möchte.

Stattdessen sind Sie für die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) tätig geworden.
Genau, dort setze ich mich jetzt seit etwa drei Jahrzehnten für die Interessen von Anlegern ein. Und das passt einfach: Sowohl vom Rechtsgebiet wie auch von der Art der Arbeit.

Gibt es Herausforderungen oder Themen, die Sie schon über die ganze Zeit dort begleitet haben?
Die gibt es auf jeden Fall. Die DSW vertritt die Rechte von privaten und institutionellen Anlegern gegenüber dem Unternehmen. Und als Vize-Präsidentin der DSW versuche ich immer klarzustellen, dass der private Anleger kein Zocker ist. Vor allem in Deutschland hat der Aktionär einen fürchterlichen Ruf - und dagegen wehre ich mich. Der Aktionär ist kein Spieler sondern er ist beteiligt an der deutschen Wirtschaft!

Sie haben in einer sehr von männlichen Kollegen geprägten Branche Fuß gefasst. Gab es da Vorurteile und welches Erlebnis ist Ihnen bis heute im Gedächtnis geblieben?
Ja, absolut. Vor allem ganz am Anfang war ich als Frau ein absoluter Exot in der Branche. Es war für die Leute sehr erstaunlich, dass ich an dem Pult stehe und tatsächlich etwas sagen möchte. Und dass ich auch noch fundiert gesprochen habe und keinen Blödsinn gesagt habe, wurde besonders verwundert aufgenommen.
Nach einer Rede kam einmal ein Aktionär zu mir und hat gesagt, dass er beim Zuhören die ganze Zeit meine blonden Locken angeschaut habe. Da habe ich mich schon gefragt, ob er mir nun zugehört hat oder nur Augen für meine Frisur hatte.
Gerade in der Anfangszeit meiner Kanzlei haben mich auch Mandanten gefragt, ob ich mir diesen Job als junge Frau überhaupt zutraue. Bei jungen Männern wird dagegen eher erwartet, dass sie dynamisch sind und etwas erreichen wollen.

Mussten Sie so etwas auch schon von Vorständen erleben?
Leider ja. Ich war damals auf der Hauptversammlung einer familiengeführten Aktiengesellschaft, die meines Erachtens nie an die Börse gehört hätte. Für deren Gründer, Hauptaktionär und Aufsichtsratschef war schon allein die Existenz der Aktionäre eine reine Pflichtübung. Als ich dann auf einige Missstände hingewiesen habe, stand er auf, ging zum Pult und sagte: "Aktionärssprecherinnen, die die Mentalität einer Putzfrau haben und in unserem Unternehmen nur den Dreck sehen, können wir hier nicht gebrauchen." Das ist mir bis heute im Kopf geblieben.

Erleben Sie so etwas auch heute noch, oder hat sich das gebessert?
Das hat sich auf jeden Fall gebessert. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass ich mittlerweile seit sehr vielen Jahren in diesem Bereich tätig bin, aber ich würde schon sagen, dass es hier auch insgesamt eine Weiterentwicklung gegeben hat.
Leider habe ich trotzdem immer noch das Gefühl, dass sich viele Frauen von dem Berufsfeld abschrecken lassen. In größeren Anwaltskanzleien gibt es zwar einige Frauen, die sich mit dem Aktionärsrecht beschäftigen, aber diejenigen, die sich damit selbstständig machen, kann man an zwei Händen abzählen.

Was würden Sie einer Frau raten, die in diesem Bereich beruflich durchstarten will?
Ich würde ihr raten, es genauso zu machen wie ich: Ich habe mich vollkommen "geschlechterblind" für diesen Beruf entschieden und bin meinen Weg gegangen. Man sollte sich auf keinen Fall davon abschrecken lassen, dass die Branche sehr von Männern dominiert wird.

Außerdem würde ich immer zu einem neutralen, professionellen Aufzug raten. Weder ein kurzer Rock noch High-Heels haben etwas mit der Kompetenz einer Frau zu tun. Trotzdem wird man auch heute noch sehr schnell in eine Schublade gesteckt.

Die Bundesregierung will dem Mangel an Frauen vor allem in den Vorständen größerer Unternehmen mit einer Frauenquote begegnen. Was halten Sie davon?
Hier habe ich meine Meinung geändert. Früher habe ich immer gesagt, dass wir keine Frauenquote brauchen. Ich habe befürchtet, dass Frauen dann in bestimmten Positionen eingesetzt werden, nur weil sie Frauen sind und nicht wegen ihrer Kompetenzen. Inzwischen bin ich allerdings der Meinung, dass wir die Quote in jeder Hinsicht brauchen. Sämtliche Zusicherungen, dass man sich bemühen würde, mehr Frauen in Vorstandspositionen zu bekommen, wurden enttäuscht. Wenn ich dann gezielt nachfrage, warum das so ist, bekomme ich immer dieselbe Antwort: Man habe ja versucht, eine Frau für den Posten zu finden, aber man finde einfach keine mit den nötigen Fähigkeiten. Und das stimmt einfach nicht. Ich denke deshalb, dass der Gesetzentwurf in jeder Hinsicht richtig und wichtig ist. Es gibt genügend kompetente Frauen, aber sie müssen den Fuß in die Tür bekommen. Und das gelingt meiner Ansicht nach nur mit einer Quote.

Sie selbst haben bei der DSW eine steile Karriere hingelegt. Nach Ihrem ersten Auftritt bei einer Hauptversammlung verantworteten Sie innerhalb kürzester Zeit alle DAX-Unternehmen aus Bayern, wurden Landesgeschäftsführerin und sind heute DSW-Vizepräsidentin. Woran machen Sie Ihren Erfolg fest?
Hartnäckigkeit, Disziplin und viel Arbeit. Es funktioniert einfach nicht, wenn man sich unter der Woche die Nächte um die Ohren schlägt. Das geht schon mal zwischendurch und das muss zwischendrin auch mal sein, aber das darf keine Gewohnheit sein. Ein disziplinierter, geregelter Tagesablauf ist ein Muss für gute Leistungen.

Wie sieht dieser Tagesablauf denn bei Ihnen üblicherweise aus?
Ich stehe um 05:30 Uhr auf, mache mich fertig, gehe in die Kanzlei und erledige meine Schreibtischarbeit. Ich telefoniere auch sehr viel, da es mir wichtig ist, für die Mandanten greifbar zu sein. Auch mittags bleibe ich in der Kanzlei. Auswärts essen tue ich generell nicht, denn wir essen in der Kanzlei gemeinschaftlich in großer Runde. Durch die Corona-Pandemie ging das lange Zeit nicht, aber grundsätzlich essen wir alle gemeinsam. Im Anschluss kann ich dann das tun, was ich liebe und was mir auch viel Erholung bringt: Ich gehe mit meinen Hunden raus. Wenn es zeitlich möglich ist, bin ich gerne eine Stunde mit ihnen unterwegs. Danach geht es dann wieder zurück ins Büro und abends dann entweder nach Hause oder auf Veranstaltungen. Mein Abendritual ist dann der letzte Spaziergang des Tages mit den Hunden.

Bei den Hauptversammlungen bringen Sie unter anderem die Probleme der jeweiligen Unternehmen auf den Tisch. Fällt Ihnen das leicht?
Das wird natürlich mit den Jahren einfacher. Vor allem greife ich niemanden persönlich an, sondern analysiere und kommentiere auf einer sachlichen Ebene. Ich versuche herauszuarbeiten, was meiner Ansicht nach nicht so gut gelaufen ist und frage dann nach. Natürlich muss der Vorstandsvorsitzende als Person für Probleme im Unternehmen die Verantwortung tragen, aber das hat nichts mit der Person an sich zu tun.
Schwieriger wäre es natürlich, jemanden auf einer persönlichen Ebene anzugreifen. Das ist aber etwas, was ich partout vermeide. Die Sachlichkeit ist hier ganz entscheidend.

Wie bereiten Sie sich auf Ihre Auftritte bei Hauptversammlungen vor?
Das ist ähnlich wie bei Schauspielern oder Kabarettisten: Es soll spontan wirken, muss aber vorbereitet und geprobt werden. Im Falle der Hauptversammlungs-Auftritte wird jedes Wort auf die Waagschale gelegt, also sowohl der Tonfall wie auch die Worte selbst müssen genau gewählt werden. Das ist eine Gratwanderung - gerade bei den Problemfällen. Deshalb habe ich auch immer ein Redeskript dabei. Es kam schon vor, dass ich später mit Aussagen konfrontiert wurde, die ich angeblich getroffen hätte. Mit der geschriebenen Rede kann ich so etwas dann widerlegen.

Um die Reden zu schreiben, sehe ich mir alle Geschäftsberichte, Jahresabschlüsse und auch die Presse- und Analystenberichte an. Außerdem gehe ich für den roten Faden noch mal durch, was wir in den letzten Jahren gesagt haben.

Sind Sie nach all den Jahren noch aufgeregt vor Ihren Reden und was beruhigt Sie dann?
Ja, natürlich. Vor allem vor der Siemens-Hauptversammlung, die ja für gewöhnlich die Saison einläutet, bin ich schon etwas nervös. Das kann man nicht leugnen!
Mir hilft dann die Tatsache, dass ich mein Manuskript habe, an dem ich mich festhalten kann. Sehr wichtig ist natürlich zu wissen, dass man sich gut vorbereitet hat. Die Erfahrung, die ich mittlerweile mitbringe, beruhigt mich auch. Mir ist es an solchen Tagen außerdem sehr wichtig, dass ich die Aufgaben ohne Stress angehen kann. Ich komme deshalb gerne schon sehr früh zu den Hauptversammlungen, damit ich mich dort nicht hetzen muss.

Man sagt, die Farbwahl Ihrer Schleife gibt Auskunft darüber, ob Sie mit dem Vorgehen eines Unternehmens einverstanden sind oder nicht. Was hat es damit auf sich?
Das hat damit angefangen, dass ich auf einer Hauptversammlung, auf der es sehr viel zu beanstanden gab, eine rote Schleife getragen habe. Daraus entstand dann ein Farbkodex. Wenn ich eine rote Schleife trage, ist es sehr wahrscheinlich, dass ich irgendwo mit "nein" stimme, oder dass ich dem Vorstand die Leviten lese. Bei einer gelben Schleife ist die Stimmung nicht wirklich gut, aber auch nicht wirklich schlecht. Und alle Schleifen, die in Blautönen, grau oder schwarz gehalten sind, bedeuten, dass alles gut ist. Ob die erste rote Schleife allerdings Zufall oder Absicht war, kann ich all die Jahre später nicht mehr mit Sicherheit sagen.

Wo finden Sie einen Ausgleich zu Ihren vielen beruflichen Aufgaben?
Gerade mit den Pudeln bin ich natürlich sehr viel in der Natur anzutreffen - sei es zu Spaziergängen oder auch Wanderungen rund um den Chiemsee. Ich liebe diese Gegend und bin dort gerne mit allen drei Hunden unterwegs.
Außerdem mache ich sehr gerne Yoga. Meditation und Yoga geben mir einen großen Ausgleich zu den beruflichen Herausforderungen. Ich lege mich aber auch gerne in den Liegestuhl und lese ein Buch. Ins Lesen kann ich mich richtig vertiefen. Manche Bücher haben eine wunderbare Sprache, manche haben einen wahnsinnig spannenden Hintergrund und manche basieren auf sehr faszinierenden Ideen. Ich würde wahrscheinlich wahnsinnig werden, wenn ich ausschließlich Fachliteratur lesen würde. Ich brauche meine Belletristik.

Haben Sie auch ein absolutes Lieblingsbuch?
Das ist schwierig. Manche Bücher lese ich nur einmal und bringe sie dann in der Nähe in ein offenes Bücherregal in einer Art roten Telefonzelle. Manche hebe ich aber auch auf, weil ich sie vielleicht nochmal lese. Besonders fasziniert haben mich aber die Bücher "Altes Land" von Dorte Hansen und "Die Erfindung der Flügel" von Sue Monk Kidd. Gerade das letzte ist ein tolles Buch über die Emanzipation von Frauen in den USA zum Zeitpunkt des Bürgerkrieges.

Angenommen, Sie haben nicht nur ein paar Stunden, sondern einen ganzen Tag völlig ohne Verpflichtungen: Wie würden Sie ihn verbringen?
Ich hätte auf jeden Fall meine Hunde und meine Familie um mich. Wahrscheinlich wäre ich im Chiemgau auf dem Land unterwegs, dort habe ich auch einige Freunde. Ich kenne in der Gegend außerdem einen tollen Bauernhof, auf dem man sehr gut essen kann. Von dort aus kann man an den See zum Baden gehen oder auch wunderbare Spaziergänge unternehmen.

Gibt es auch ein Lieblingsurlaubsziel?
Derzeit ist eine Reise nach Laos geplant. Generell reise ich sehr gerne nach Asien. Eigentlich bin ich dort jedes Jahr einmal. Letztes Jahr mussten wir die Reise nach Kambodscha allerdings früher abbrechen, da wir die Befürchtung hatten, dass wir wegen des Lockdowns irgendwo stranden würden. Das wollten wir natürlich vermeiden.
Generell zieht es mich immer wieder nach Thailand und Myanmar. Wir waren außerdem schon in Malaysia, Sri Lanka oder auch Vietnam. Vor allem Myanmar hat mich sehr fasziniert, da würde ich jederzeit wieder hinreisen. Für gewöhnlich machen wir bei unseren Asienurlauben immer fünf bis sechs Tage Rundreise und hängen dann noch fünf Tage am Meer an.

Ihre Hunde sind Ihre treuen Begleiter. Wie kommt es, dass Sie gleich mehrere Hunde haben?
Das stimmt, ich habe einen Toypudel und zwei Zwergpudel: Der eine ist etwas älter und die anderen beiden sind ein jüngeres Geschwisterpärchen. Einer der beiden Geschwister trägt den Namen Pinocchio. Das hat auch einen Grund: Und zwar wollten mein Mann und ich ursprünglich nur zwei Hunde haben, den älteren und einen jüngeren Hund. Als wir wegen des zweiten Hundes bei der Züchterin waren - wir kannten uns schon sehr gut - hat sie mich gefragt, ob ich nicht den übrigen jungen Rüden auch mitnehmen und vermitteln könne, da sie schon bald den nächsten Wurf erwartete. Da ich schon öfter von Bekannten angesprochen wurde, dass sie auch gern einen Pudel hätten, habe ich natürlich sofort zugestimmt und beide Geschwister mitgenommen. Als mein Mann und ich gesehen haben, wie die Welpen 24 Stunden lang unaufhörlich miteinander gespielt und geschmust haben, konnten wir ihn nicht mehr hergeben. Wir hatten uns selbst in die Tasche gelogen, dass wir ihn weitergeben könnten - daher der Name Pinocchio.
Die Hunde sind auch eine feste Institution in der Kanzlei und arbeiten mit. Sie teilen mit mir und meinen Kollegen alle Erfolge und trösten auch, wenn mal etwas nicht so gut läuft.

Zum Abschluss: Welchen Titel würden Sie einem Buch oder Film über Ihr Leben geben?
Ich denke, "Jeanne d’Arc der Aktionäre" wäre ein treffender Titel, da ich mich für die Aktionäre und deren Rechte einsetze.