Volkswagen kämpft mit Absatzproblemen in China und den USA. In Deutschland legt eine IT-Störung die Produktion lahm, während die Justiz die Zentrale durchstöbert. Wie geht es jetzt mit der Aktie weiter?

Razzia wegen überhöhter Betriebsratsgehälter, Absatzprobleme in den Kernmärkten USA und China, und dann legte am Dienstag auch noch eine IT-Störung die Produktion der Marke VW in Deutschland lahm – diese Woche lieferte der Volkswagen-Konzern ein wahres Stakkato an Negativschlagzeilen. Das drückt nicht nur die Stimmung in Wolfsburg auf neue Tiefpunkte, sondern auch die Bewertung an der Börse. Die Aktie liefert ein Bild des Grauens: Weit entfernt von einstigen Höchstständen des Jahres 2021 bei 250 Euro nähert sich der Kurs inzwischen bedrohlich der 100-Euro-Marke.

Das führt bereits zu historisch niedrigen Bewertungskennziffern, beispielsweise einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 3,4 und einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von 0,33, die eigentlich eine Kaufchance signalisieren. Dennoch gehen immer mehr Analysten auf Distanz zur Aktie und warnen davor, dass VW Gefahr läuft, den Anschluss an die Konkurrenz zu verlieren.

Volkswagen mit großen Problemen - Wie geht es bei der Aktie weiter?

Dabei hat der Konzern in jüngster Zeit Rekordsummen in E-Mobility investiert und im Juni zusätzlich ein Performance-Programm angekündigt, um die Ertragskraft innerhalb von drei Jahren deutlich zu steigern. So soll die Rendite der Kernmarke VW bis 2026 von derzeit 3,6 auf 6,5 Prozent zulegen, und gleichzeitig sollen durch Effizienzsteigerungen und Einsparungen rund zehn Milliarden Euro freigeschaufelt werden. „6,5 Prozent Rendite sind die Basis dafür, dass Volkswagen wieder an die Spitze fährt – mit Top-Qualität und Mobilität für alle“, erklärte Markenchef Thomas Schäfer erst vergangene Woche bei einer Betriebsversammlung vor 10 000 Mitarbeitern in Wolfsburg.

Wie zum Hohn standen dort eine Woche später die Bänder still. Eine IT-Störung von Netzwerkkomponenten am Standort Wolfsburg hatte die Produktion im Konzern lahmgelegt. Bei der Marke VW ging in Deutschland einen Tag lang überhaupt nichts mehr. Auch die Werke bei der Tochter Audi war betroffen. Erst am Donnerstagmorgen gab der Konzern Entwarnung. „Die IT-Infrastrukturprobleme im VW-Netzwerk konnten im Laufe der Nacht behoben werden, das Netzwerk arbeitet wieder stabil“, meldete ein Sprecher gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Doch nicht nur IT-Probleme machten VW an diesem Tag zu schaffen, Der Konzern ist wegen möglicherweise zu hoher Betriebsratsgehälter ins Visier der Justiz geraten – mal wieder. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig erklärte, dass bereits am Dienstag der VW-Standort Wolfsburg sowie vier private Objekte wegen des Verdachts der Untreue durchsucht worden seien. Dabei gehe es um Gehaltszahlungen an Betriebsratsmitglieder unter Verstoß gegen das sogenannte Begünstigungsverbot im Betriebsverfassungsgesetz. Ein VW-Sprecher bestätigte, dass Büroräume im Werk Wolfsburg durchsucht worden seien, und dass man mit den Ermittlungsbehörden in vollem Umfang kooperiere.

Schon vor zwei Jahren war es zu einem Strafprozess vor dem Landgericht Braunschweig wegen Untreue aufgrund überh.hter Betriebsratsgehälter gekommen. Dabei wurden vier angeklagte Manager zunächst freigesprochen. Der Bundesgerichtshof hob die Freisprüche kürzlich auf.

So kämpft der Konzern derzeit an vielen Fronten, und dass er gegenüber der Konkurrenz immer stärker in die Defensive gerät, führen Branchenexperten nicht zuletzt auf die verkrustete und ineffiziente Gesellschafterstruktur mit dem Land Niedersachsen  und den Familien Porsche/Piëch als Großaktionäre zurück, die jeweils ihre eigenen Interessen verfolgen. Unter modernen Corporate-Governance-Gesichtspunkten wirkt der Wolfsburger Konzern wie ein Dinosaurier, und auch dafür gibt es an der Börse einen kräftigen Abschlag.

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Autoexperte Dudenhöffer: „Volkswagen muss durch ein langes Tal“

Der Direktor des Duisburger CAR-Instituts, Ferdinand Dudenhöffer, erläutert im Interview mit Börse Online die riskante Strategie von Vorstandschef Oliver Blume, Durststrecken in der Profitabilität, und wie eine Konzernstruktur aus der Steinzeit die Aktie immer mehr ausbremst

Börse Online: Der Autokonzern VW kämpft mit kräftigem Gegenwind auf seinen Absatzmärkten, hat Produktions- und IT-Probleme, und der Aktienkurs nähert sich langsam der 100-Euro-Marke. Fährt Konzernchef Robert Blume die richtige Strategie?

Ferdinand Dudenhöffer: Blume versucht den Konzern zu stabilisieren und geht dabei klassisch vor. Alle Problemfelder werden systematisch abgearbeitet und mit angepassten und neuen Konzepten reagiert. Dazu zählen der wichtige Absatzmarkt China, die Softwaretochter Cariad, die Premiumtochter Audi, die künftige Modellstruktur, dies schwache Konjunktur in Europa und die hohen Zinsen. Kurzfristig wird VW also keinen großen Profitschub nach oben sehen, sondern eher eine schwierigere Performance haben.

Wie lange dauert das, und hat VW angesichts aggressiver Wettbewerber überhaupt die Zeit dafür?

VW geht durch ein Tal, das sicher mehrere Jahre dauert. Neue Modelle brauchen Zeit und Kunden in USA findet man ebenfalls nicht über Nacht. Und die Defizite in China im Produktangebot aufzuarbeiten, ist ebenfalls kein Sechs-Monats-Programm. Fazit. Die Maßnahmen werden wirken, aber es braucht Zeit.

Wie riskant ist die Strategie von Blume?

Blume will Risiken ausschließen. Im Design geht er auf den Golf zurück. Die Frage ist aber, ob ein klassisches VW-Design in zehn Jahren noch sexy ist. Das gleiche gilt für die Absage an das Trinity-Projekt einer neuen Generation von Elektrofahrzeugen auf Basis einer eigens entwickelten Plattform. Die Produktionswelt ändert sich dramatisch, wie die Giga-Factory des US-Elektroautobauers Tesla in Berlin-Brandenburg zeigt. Trinity wollte diese Änderungen aufgreifen. Das scheint jetzt gestorben zu sein. Blume wählt damit einen Mittelweg, der auch Risiken hat. 

Wie stark leidet der Konzern unter seiner Struktur, insbesondere dem sperrigen Aktionärskreis?

Das größte Problem von VW sitzt in der Tat in seiner Organisationsstruktur. Wenn man ehrlich ist, gleicht es einem Staatsunternehmen, mit 50 Prozent der Aufsichtsratssitze bei der Gewerkschaft IG Metall, 20 Prozent Stammaktien beim Land Niedersachsen und einem VW-Gesetz aus der Steinzeit. Auch langfristig werden die VW-Aktien damit deutlich eingebremst. VW ist zu stark um den Kirchturm von Wolfsburg gebaut

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Dieser Artikel erschien zuerst in Euro am Sonntag 39/2023. Hier erhalten Sie einen Einblick ins Heft und hier geht es zur neuen Webseite unseren Schwester-Magazins eurams.de

Hinweis auf Interessenkonflikte
Der Vorstandsvorsitzende und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Volkswagen Vz..