Rund 100 Milliarden Euro mehr an Münzen und Scheinen kamen im März in Europa zusätzlich in Umlauf. Scheinbar haben im Zuge der Ausgangsbeschränkungen in den verschiedenen Ländern Europas viele Menschen etwas mehr Geld von ihrem Konto abgehoben als sonst. Heruntergebrochen auf die etwa 500 Millionen Menschen, die auf diesem Kontinent leben, sind das 200 Euro pro Kopf. Die Angst, dass auch Banken geschlossen und vor allem Geldautomaten nicht mehr befüllt würden, war groß.
 


3000 Euro Bargeld hortet jeder Deutsche im Schnitt zu Hause, insgesamt ...


Je größer die Unsicherheit, desto eher vertrauen Menschen auf Bargeld. Rahim Taghizadegan, Wirtschaftswissenschaftler von der privaten Hochschule Scholarium in Wien, nennt es den "Reiz des Greifbaren", wenn er über Bargeld spricht. Bargeld gebe vielen Menschen Sicherheit. Gerade in Deutschland ist dieses Gefühl sehr stark und gepaart mit dem Wunsch nach Datenschutz. Wobei dieser angesichts der Corona-Krise beim Thema Bargeld nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Nach Angaben der Bundesbank hat sich der Bargeldbestand in deutschen Privathaushalten seit 2013, als die Zinsen langsam, aber stetig auf das heutige Niveau zu sinken begannen, verdoppelt. Rein rechnerisch hat jeder der rund 82 Millionen Bundesbürger etwa 3000 Euro in bar zu Hause. Hochgerechnet wären das 246 Milliarden Euro. Mit dieser Summe könnte man alle Aktien der DAX-Konzerne Linde, Siemens und Volkswagen kaufen. Diese Zahlen stammen von Anfang des Jahres. Es ist sicher, dass von den 100 Milliarden Euro an zusätzlichem Bargeld in Europa ein ordentlicher Batzen auf die Deutschen entfällt, und das nicht nur, weil knapp jeder sechste Europäer Deutscher ist.

Historisch kaum begründbar. Dass ausgerechnet hierzulande die Liebe zum Bargeld so verbreitet ist und Münzen und Scheine als sicher gelten, erscheint bei einem Blick auf die jüngere deutsche Geschichte geradezu paradox. In den Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts gab es eine Hyperinflation. Das Geld, für das man am Morgen eine Monatsmiete zahlen konnte, reichte am Abend vielleicht noch für ein warmes Essen. Und auch wenn nur sehr wenige Hochbetagte diese Zeit noch miterlebt haben, die Schwarz-Weiß-Fotografien von Kindern, die mit Bündeln fast wertloser Banknoten spielen, als wären es Bauklötze, kennen Millionen.
 


... 246 Milliarden Euro stecken in deutschen Sparstrümpfen.


Der nächste Währungsschnitt folgte nach dem Zweiten Weltkrieg. Seitdem ist, nicht zuletzt durch die D-Mark, die weltweit als Sinnbild einer harten, starken Währung galt, das Vertrauen ins Bargeld wieder gewachsen. Ein Vertrauen, das kurz- wie langfristig herb enttäuscht werden kann. Je turbulenter die Zeiten, desto eher wird Bargeld, genauer ausgedrückt dessen Wert, leiden. In einer echten Systemkrise wird Bargeld zwar nicht von heute auf morgen wertlos, aber wenn Lieferketten abreißen, zahlreiche Waren und Güter nicht mehr eingeführt werden können und die einheimische Wirtschaft das Land komplett selbst versorgen muss, werden viele Produkte teurer werden, die Kaufkraft jedes einzelnen Euro wird sinken.

Aber auch ohne eine Krise wird Bargeld immer weniger wert. Die Inflation sorgt nämlich dafür, dass Bargeld und auch Geld, das zu einem niedrigeren Zinssatz als die Inflationsrate angelegt ist, immer weniger wert wird. Sie ist aber kein Zeichen irgendeiner Krise, sondern gehört zu einer funktionierenden Wirtschaft dazu. Sie hat zudem für hoch verschuldete Staaten, die ihren Gläubigern nur niedrige Zinsen zahlen müssen, den positiven Nebeneffekt, dass sie sich praktisch ganz von allein entschulden. Für das Geld, das die Bundesrepublik beispielsweise heute aufnimmt, kann sich der Anleger, der sein Geld dem Bund geliehen hat, etwa in zehn Jahren, wenn er es wiederbekommt, deutlich weniger leisten, wenn nicht der Zins dieser Anleihe den Verlust der Kaufkraft ausgleicht. Gleiches gilt für Bargeld, das in Portemonnaies, Schließfächern oder Tresoren liegt. Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr verliert es an Wert.

Daher ist Bargeld gut, um kurzfristige Anschaffungen zu machen und auf absehbare Zeit flüssig zu sein. Doch um sich in einer Krise abzusichern, eignen sich Münzen und Scheine kaum. Große Bargeldmengen zu Hause wecken zudem Begehrlichkeiten - zwar nicht vom Staat, aber von solchen, vor denen der Staat Bürger schützen sollte.


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Bild: Thirteen-Fifty/iStock, Marc Dietrich/Shotshop?.com [M]