Der Umbau von Siemens ist noch nicht abgeschlossen. Im neuen Geschäftsjahr will sich der Münchner Konzern noch fokussierter aufstellen. Analysten sehen 50 Prozent Wertsteigerungspotenzial – jetzt einsteigen? Von Jörg Lang
Der damalige Firmenchef Heinrich von Pierer bezeichnete Siemens in den 1990er-Jahren als langsamen Dampfer, der aber viele kleine Schnellboote habe. In der Zwischenzeit hat sich viel getan.
Aus einem undurchsichtigen Konglomerat mit vielen Geschäftsbereichen ist ein fokussierter Konzern geworden. Die Dividenden sind stetig angestiegen, der Kurs notiert auf Rekordniveau. Nun stehen weitere strukturelle Änderungen und möglicherweise auch milliardenschwere Portfoliobereinigungen an. Die Aktie hingegen weist trotz der guten Entwicklung immer noch einen deutlichen Abschlag zu internationalen Wettbewerbern auf.
Dass sich bei Siemens viel getan hat, zeigen schon die Zahlen zum abgelaufenen Jahr. Der Konzern verbuchte trotz eines konjunkturbedingt starken Gewinnrückgangs in der Vorzeigebranche Automatisierungstechnik ein Rekordergebnis. Dass das gelang, liegt vor allem an der strategischen Positionierung der einzelnen Bereiche. Der Elektrokonzern ist dort aktiv, wo überdurchschnittliche Wachstumsraten zu erwarten sind: Demografie, Mobilität, Digitalisierung und Automatisierung. Gleichzeitig ist die 1847 als Telegraphen-Bauanstalt in Berlin gegründete Gesellschaft weltweit vertreten. Läuft es in einer Region schlechter, kann das durch die stärkeren Märkte ausgeglichen werden.
Siemens-Aktie: Drei Bereiche – 50 Milliarden-Reserve
Bei Siemens gibt es zwei Ebenen: das operative Geschäft und die Beteiligungen. Operativ ist der Konzern in drei Bereiche gegliedert. Hinter der Spartenbezeichnung Digital Industries verbergen sich vor allem die Aktivitäten in der Automatisierung von Produktionsprozessen. Siemens hat hier ein breites Angebot an Lösungen, etwa um die Fertigung bei Firmenkunden zu digitalisieren. Dazu gehört das weltweit wohl größte Portfolio an industriellen Softwarelösungen.
Der zweitgrößte Bereich wird im Organigramm unter Smart Infrastructure geführt. Siemens vernetzt etwa Energiesysteme, Gebäude und Industrien. Ein großer Block sind die Rechenzentren, die zur Nutzung von künstlicher Intelligenz technisch aufgerüstet werden müssen. Außerdem gehört zum Konzern noch der Bereich Mobility. Hinter diesem — gemessen an der Profitabilität — schwächsten Segment verbirgt sich die Bahntechnik. Siemens stellt Züge, aber auch Bahninfrastruktur her und hat entsprechende Softwareangebote. Der Auftragsbestand liegt bei drei Jahresumsätzen.
Dazu konsolidiert der Konzern noch das Geschäft von Siemens Healthineers. An dem Medizintechniker hält Siemens eine Beteiligung von 75 Prozent, die rund 43,1 Milliarden Euro wert ist. Das Bild wird abgerundet durch eine Beteiligung von 17 Prozent an Siemens Energy, die 6,7 Milliarden Euro wert ist.
Siemens: Nächster Akt im Konzernumbau
Geht es nach Konzernchef Roland Busch, wird die Entwicklung hier noch nicht zu Ende sein: „Beginnend mit dem Geschäftsjahr 2025 werden wir Siemens auf die nächste Stufe der Wertsteigerung heben“, verspricht er. Dahinter könnte eine Kombination von Maßnahmen stehen. Busch und seine Kollegen wollen im laufenden Geschäftsjahr das Programm „One Tech Company“ aufsetzen. Dabei gibt es drei Stoßrichtungen: Optimierung, Produktivität und Zukäufe. Zum einen soll der Konzern übergreifend Prozesse und Systeme optimieren, zudem IT-Werkzeuge einführen, die die Abläufe verbessern. Das stetig wachsende Softwaregeschäft soll stärker skaliert werden, wie das bei reinen Softwarefirmen der Fall ist. Gleichzeitig hat der Konzern immer noch Konglomerats-Charakter. Die Beteiligung an Healthineers passt nicht mehr dazu. Ohne strategischen Wert scheinen 45 Milliarden Euro gebundenes Vermögen nicht wirtschaftlich zu sein. Eine Abspaltung an die Aktionäre oder ein Verkauf könnten eine der Stufen der Wertsteigerung sein, die Busch erreichen will.
Im Übrigen passe auch der Bahntechnik Bereich Mobility wegen der geringen Kapitalrenditen nicht mehr richtig ins Bild, meinen die Analysten von Berenberg. Die Abspaltung oder der Verkauf würde Kapital freisetzen und vor allem auch den Bewertungsabschlag zu fokussierteren Wettbewerbern wie etwa dem französischen Konzern Schneider Electric verringern.
Wie die Allokation verbessert werden kann, zeigt der auf den ersten Blick teure Kauf der US-Firma Altair. Mit dem Deal wurde die Position bei Industriesoftware noch einmal verstärkt. Finanziert werden könnte die zehn Milliarden Euro schwere Akquisition auch durch den Verkauf der Aktien von Siemens Energy. Damit tauscht man die nicht existente Dividende gegen positiven Cashflow und Synergiepotenziale in einem hochrentablen Geschäft.
Wie sich eine fokussiertere Struktur auswirken kann, haben die Berenberg Analysten berechnet: Bei optimaler Entwicklung sei ein innerer Wert von mehr als 300 Euro je Aktie darstellbar.
Übrigens: Dieser Artikel erschien zuerst in der neuen Printausgabe von BÖRSE ONLINE. Die finden Sie hier