Denn mit der Zustimmung der EU-Staaten ist der Brexit-Deal noch lange nicht in trockenen Tüchern. "Der Knackpunkt bleibt das britische Parlament, das sich ja nicht nur darüber uneinig ist, ob dieser Deal der Beste ist, der möglich ist", sagt Commerzbank-Analyst Ulrich Leuchtmann. "Daneben gibt es ja auch noch die Extremisten, die eine No-Deal-Lösung wollen."

Hier kommt für einige Finanzmarktexperten das Pfund als Druckmittel zugunsten von May ins Spiel. Denn sie rechnen trotz der lauten Kritik mit einem positiven Votum des Unterhauses bei der für den 12. Dezember erwarteten Abstimmung. Ein durch die Brexit-Unsicherheit ausgelöster Kursrutsch bei der britischen Währung und an der Londoner Börse könnte skeptische Abgeordnete bewegen, doch zuzustimmen. "Der Druck, die Sache endlich zu erledigen, könnte Zweifler zum Umdenken bewegen", sagt Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com.

Ohne einen deutlichen Kursrutsch an der Börse sei dies allerdings nicht zu erwarten, widerspricht Robin Marshall, Anleihe-Chef beim Vermögensverwalter Smith & Williamson. Ein kurzfristiger Absturz des Pfund Sterling und des Aktienindex FTSE von fünf bis sieben Prozent könnte aus seiner Sicht aber Bewegung in die Diskussion bringen.

Rupert Harrison, ehemaliger Regierungsberater und Portfolio-Manager beim weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock, argumentiert ähnlich und verweist auf die Turbulenzen nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008. Nachdem das US-Bankenrettungspaket im Repräsentantenhaus durchgefallen war, brach die Wall Street um fast zehn Prozent ein. Wenige Tage später erhielt es dann doch noch grünes Licht.

"NOCH NICHT SCHOCKIEREND GENUG"



"In Griechenland half beispielsweise der Kursverfall der Finanzwerte dabei, Ministerpräsident Alexis Tsipras zum Kompromiss zu bewegen", sagt Salman Ahmed, Chef-Anleger der Privatbank Lombard Odier. "In Großbritannien sehe ich das noch nicht, da die Entwicklung noch nicht schockierend genug ist."

Seit dem Brexit-Referendum von 2016 hat die britische Währung um insgesamt etwa 14 Prozent abgewertet und allein in den vergangenen drei Wochen mehr als zwei Prozent verloren. Bei einer Ablehnung der Scheidungsvereinbarung und einem chaotischen Brexit ohne Nachfolge-Deal erwartet Ahmed einen Kurssturz des Pfund um weitere zehn bis zwölf Prozent auf etwa 1,13 Dollar. Das wäre der niedrigste Stand seit mehr als 30 Jahren.

Für den Fondsmanager Ben Lord vom Vermögensverwalter M&G könnte dieses Niveau sogar noch unterschritten werden. Er verweist auf das hohe Leistungsbilanzdefizit Großbritanniens in Höhe von 3,9 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, das bislang durch Zufluss ausländischen Kapitals ausgeglichen wird. "Wir wollen keinen Katalysator, der ausländische Investoren davon abhält, uns zu finanzieren. Dann würden wir eine sehr deutliche Sterling-Abwertung erleben."

Die Experten der Rabobank rechnen angesichts der verhärteten Fronten allerdngs nicht mit einer Zustimmung im Parlament. "Eine Mehrheit für eine Alternative scheint es aber auch nicht zu geben." Daher seien alle anderen Lösungen gleich wahrscheinlich oder unwahrscheinlich: Eine Überarbeitung des aktuellen Deals, ein zweites Brexit-Referendum oder Neuwahlen.

rtr