Wenn es nach Politikern und Start-Up-Firmen geht, sollte ein neues Börsensegment für junge Technologieunternehmen lieber heute als morgen eingeführt werden. "Wir sind der festen Überzeugung, dass wir ein solches Börsensegment brauchen", sagte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel kürzlich. Eine "Börse 2.0" sei absolut notwendig zur Finanzierung junger Hightech-Firmen, erklärte Florian Nöll, der Chef des deutschen Start-Up-Verbands. "Das ist das fehlende Rohrstück im Finanzierungskreislauf."

Viele Börsianer, Aufsichtsbehörden und Banker können über solche Äußerungen nur den Kopf schütteln. Sie glauben nicht, dass es genügend geeignete Firmen und Investoren für ein solches Segment gibt. "Es muss verhindert werden, dass eine Reihe von halbfertigen Unternehmen an die Börse kommt, die nicht performen", sagt eine mit den Diskussionen vertraute Person. "Das wäre für die Reputation der Börse katastrophal. Und das Segment wäre innerhalb von Wochen toter als tot."

Die Erinnerungen an den "Neuen Markt" sind in Frankfurt noch sehr präsent. Das Segment wurde 1997 inmitten des Technologie-Booms geschaffen, damit junge Unternehmen rasch an Eigenkapital kommen. Zunächst schien der Plan aufzugehen, bis 2000 schossen die Kurse vieler Internet- und IT-Firmen in astronomische Höhen. Nach dem Platzen der "Dotcom-Blase" stürzten die Kurse dann jedoch ins Bodenlose. Viele Firmen gingen Pleite, zahlreiche Betrugsfälle landeten vor Gericht. 2003 stellte die Deutsche Börse das Segment ein.

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Ihre Vorbehalte gegen einen neuen "Neuen Markt" hat die Deutsche Börse in Berlin bereits vorgebracht, wie aus einer Präsentation für die Börsensachverständigenkommission des Finanzministeriums hervorgeht. In Deutschland steckten Profi-Investoren ihr Geld vor allem in etablierte, größere Unternehmen, heißt es in dem Papier, das der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt. Es gebe zu wenig institutionelle Investoren mit Fokus auf "wachstumsstarke Hightech-Geschäftsmodelle".

Der Start eines neuen Börsensegments ist der Präsentation zufolge deshalb "derzeit nicht vorgesehen". Stattdessen schlägt das Unternehmen den Aufbau einer vorbörslichen Online-Plattform vor, "um den Bestand an Wachstumsunternehmen in Deutschland transparent zu machen". Dort könnten sich Firmen und Anleger beschnuppern. "Wenn eine Firma dort genügend Investoren findet und an die Börse will, kann sie das gerne tun", sagt ein Firmeninsider. Die Börsengänge des Online-Schuhhändlers Zalando und der Internet-Holding Rocket Internet im Oktober hätten schließlich gezeigt, dass dies für Internet-Firmen bereits heute möglich ist.

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ANGST VORM SCHWARZEN PETER

Nach Einschätzung von Investoren sind Börsengänge nichts für Start-ups, die gerade erst gegründet wurden. "Wenn ein Unternehmen an die Börse gehen will, muss es schon einige Jahre bestehen und ein Geschäftsmodell haben, dessen Tragfähigkeit Investoren beurteilen können", sagt Fondsmanager Michael Muders von Union Investment. "Zudem brauchen Börsenkandidaten klare organisatorische Strukturen und ein Management, dem Investoren vertrauen." Muders und sein Kollege Henning Gebhardt von der Deutschen-Bank -Fondsgesellschaft DWS fänden es positiv, wenn mehr Start-ups an die Börse gingen. Dass dies derzeit kaum passiert, liege auch an den Kosten und den Transparenzvorschriften, sagt Muders. "Es muss deshalb darüber nachgedacht werden, wie weit man die Hürden senken kann."

Börsenkenner und Aufsichtsbehörden sehen hier jedoch wenig Spielraum. Erst 2012 hat die Deutsche Börse das relativ schwach regulierte Segment "First Quotation Board" geschlossen, da es "zu massiven und häufigen Verdachtsfällen auf Marktmanipulation" gekommen war. "Ich hätte deshalb große Bauschmerzen, die Anforderungen zu reduzieren", sagt ein Kenner von Deutschlands größtem Börsenbetreiber. "Wenn es dann am Ende zu Zahlungsausfällen kommt, sind diejenigen, die das neue Segment propagiert haben, ganz schnell in den Büschen." Er hat deshalb einen anderen Vorschlag: "Man könnte alles so lassen, wie es ist, und einfach ein neues Schild über ein Segment kleben." Das wäre dann zwar nur eine Marketing-Aktion, was aber nicht per se schlecht sein muss. "Wenn man auf diese Weise mehr Firmen und Investoren anlockt, wären alle zufrieden."

Die Deutsche Börse prüfe, wie sich Start-ups künftig leichter über den Kapitalmarkt finanzieren können, sagte eine Firmensprecherin. "Dazu wird auch das Potenzial börsenfähiger, junger Wachstumsunternehmen in Deutschland evaluiert." Im Umfeld des Börsenbetreibers heißt es, der Konzern tue alles, damit er am Ende nicht als Verhinderer dastehe. Spätestens die geplatzte Fusion mit der New York Stock Exchange 2012 hat dem Unternehmen vor Augen geführt, wie wichtig ein guter Draht nach Berlin ist. "Der Druck der Politik ist groß", sagt ein Insider. "Und niemand will, dass ihm am Ende der Schwarze Peter zugeschoben wird."

Reuters