Zug Nummer 002 JB FIRM rattert langsam in die Moskauer Nacht. Mehr als elf Stunden dauert die Fahrt aus der russischen Hauptstadt in die 800 Kilometer entfernte Provinzmetropole Kasan an der Wolga. Die Millionenstadt ist einer von elf Spielorten der Fußballweltmeisterschaft, die am Donnerstag beginnt. So bestreitet die deutsche Nationalmannschaft Ende Juni in der Kasan-Arena ihr letztes Vorrundenspiel gegen Südkorea.

Glaubt man den Quoten der Buchmacher, wird Gastgeber Russland im Kampf um den WM-Pokal keine Rolle spielen. Doch hier, in der Wolga-Region, entscheidet sich eine weitaus wichtigere Weltmeisterschaft: Denn hier beginnt das Herz des russischen Agrardreiecks, eine der fruchtbarsten Regionen der Welt. 2017 hat Russland die USA als größten Weizenexporteur abgelöst und will diesen Titel verteidigen. Mehr noch: Präsident Wladimir Putin hat als Ziel ausgegeben, das Land zum führenden Agrarexporteur zu machen.

Tiefe Krise seit 2014



Solche Erfolgsmeldungen hat die russische Wirtschaft dringend nötig. Denn sie steckt seit 2014 in der Krise. Schuld daran ist der Preisverfall bei den wichtigsten Exportgütern Öl und Gas. Das Bruttoinlands-produkt ist zuletzt fast auf das Niveau von 2007 geschrumpft. Da verspricht auch das Wachstum um 1,7 Prozent, das der Internationale Währungsfonds für 2018 prognostiziert, keine große Besserung. Neben schlechten volkswirtschaftlichen Voraussetzungen leiden viele Unternehmen an der Unsicherheit durch die Sanktionen. So brach der russische Leitindex RTS Anfang April, als die USA eine neue Liste mit Finanzstrafaktionen gegen Putin-nahe Oligarchen veröffentlichten, binnen eines Tages um zwölf Prozent ein.

Dem gegenüber steht der Boom in der Landwirtschaft, eine indirekte Folge der Sanktionen, die der Westen 2014 wegen der Krim-Annexion gegen Russland verhängt hat. Der Kreml reagierte mit einem Einfuhrverbot von Lebensmitteln aus der EU, den USA, Kanada, Australien und Norwegen und fördert die lokale Landwirtschaft mit Milliardensubventionen.

Das Resultat sieht man auch in den Regalen des Tante-Emma-Ladens in Kasans Fußgängerzone: Käse, Milch und Joghurt stammen aus heimischer Produktion. Obst und Gemüse kommen aus Russland und den ehemaligen Sowjetstaaten. Das Warenangebot in größeren Supermärkten unterscheidet sich kaum davon.

Nicht nur russische Unternehmer investieren deshalb verstärkt in den Anbau von Getreide, Obst, Gemüse und in die Tierzucht. Auch internationale Investoren wie US-Hedgefondsmanager Jim Rogers setzen auf den Wiederaufstieg Russlands zur Agrarsupermacht. Seit 2014 sitzt Rogers im Vorstand des Düngemittelherstellers Phosagro, an dem er auch beteiligt ist. Der Wert seiner Anteile stieg seitdem um mehr als 120 Prozent, währungsbereinigt immerhin um rund 50 Prozent.

Das verdeutlicht das Wachstumspotenzial in Sektoren, die von der Regierung gefördert werden. Neben der Agrarbranche gilt das auch für die Telekommunikationsindustrie. Die staatliche Vorgabe, die Wirtschaft zur "Industrie 4.0" weiterzuentwickeln, erfordert enorme Investitionen in die technische Infrastruktur. Dazu zählt der Aufbau eines schnellen Mobilfunknetzes. Bis 2020 soll der Standard 5G in den acht größten Städten verfügbar sein. Einziger Betreiber, der bislang eine Lizenz dafür erhalten hat, ist der Telekommunikationskonzern Megafon.

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Unberechenbare Sanktionen



Doch Investitionen in Einzelwerte sind hochriskant. Das liegt nicht nur an der schwierigen Wirtschaftslage. Weitaus unberechenbarer sind die US-Sanktionen. Die zweite Welle gegen die Oligarchen traf unter anderem die Lenker des Öl- und Gasriesen Surgutneftegas, des Aluminiumherstellers Rusal und des Goldproduzenten Polyus. Die Aktien von Rusal und Polyus brachen ein. Rusal droht ohne staatliche Hilfe die Pleite. Unkalkulierbar macht die Sanktionen aber vor allem, dass sie auch Unternehmer treffen, die nicht als Putin-Vertraute gelten, wie Arkadi Wolosch, Gründer des Internetkonzerns Yandex.

Das Unternehmen wird oft als Google Russlands bezeichnet. Zuletzt hat Yandex angekündigt, einen Onlineshop nach dem Vorbild von Amazon an den Start bringen zu wollen. Nicht nur bei Einzelaktien, auch bei Fonds ist Vorsicht angesagt: Der Leitindex RTS hängt stark von Rohstoffwerten ab. Ein Investment ist nur bedingt empfehlenswert. Breiter ist die Streuung bei dem Fonds Parvest Russia Opportunities, der Rohstoffwerte untergewichtet, was sich der Anbieter jedoch einiges kosten lässt.

Interessant für langfristig orientierte Anleger sind russische Anleihen, die bei internationalen Investoren derzeit sehr beliebt sind. Da Anleihen russischer Unternehmen in Deutschland kaum verfügbar sind, können risikofreudige Renditejäger auf Staatsanleihen setzen. Die Staatsverschuldung ist mit 18,7 Prozent vergleichsweise niedrig - eine Folge des faktischen Staatsbankrotts 1998 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Papiere der Risikostufe "BBB" locken mit einer Rendite von 7,6 Prozent. Da die Anleihen in Rubel notiert sind, können Anleger zudem von einer möglichen Aufwertung im Fall einer wirtschaftlichen Erholung profitieren. Den Einbruch im April infolge der Sanktionen hat der Rubel fast wieder wettgemacht. Die deutschen Fußballfans, die nach Kasan oder in die anderen WM-Spielorte reisen, dürften das im Geldbeutel zu spüren bekommen.



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Auf einen Blick: Russland