Die Rally ist eindrucksvoll. Es läuft und läuft. Und warum denn auch nicht? Die guten Unternehmensgewinne stützen das Ganze schließlich. Dennoch gibt es das ein oder andere zu bemängeln: Alles Negative wird nämlich gerade schlicht und einfach ausgeblendet. Die politischen Unsicherheiten beispielsweise, in den USA wie in Europa - siehe Großbritannien, Frankreich und Italien. Hinzu kommt, dass Aktien inzwischen doch recht teuer geworden sind und parallel dazu die Anleger immer sorgloser - die Volatilität notiert inzwischen auf einem Zehnjahrestief. Das ist gefährlich.
Gleichzeitig ist die Liste der positiven Aspekte aber ebenfalls eindrucksvoll lang. Die gerade beendete Berichtssaison der Unternehmen mit zweistelligen Steigerungen der Gewinne war die beste seit 2011. Dann sind da die Frühindikatoren, die weiterhin für eine positive Konjunkturentwicklung sprechen. Und schließlich kommt dazu, dass das Realzinsniveau weiterhin negativ ist - Sparer verlieren also de facto Geld. Zinsanlagen sind damit mehr oder weniger uninteressant. Die Aktienmärkte, die eilen derweil von Hoch zu Hoch. Das Problem dabei: Die Kursanstiege waren zuletzt deutlich höher als die Gewinnzuwächse der Unternehmen. Daher die inzwischen teils sehr hohen Bewertungen.
Beim Kursanstieg galt dabei bislang die Grundregel: je risikoreicher das Investment, desto besser in diesem Jahr der Ertrag. Mit Bluechips waren bislang an die zehn Prozent drin, mit mittelgroßen Unternehmen im Schnitt etwa 15 Prozent, mit Technologie- und Schwellenländeraktien schließlich round about 20 oder gar 25 Prozent. Zudem gibt es natürlich Ausreißer mit weit mehr Kursplus.
Dass allerdings in den zurückliegenden Tagen die Notierungen an der Techbörse Nasdaq teils heftig nachgelassen haben, lässt aufhorchen. Kommt da jetzt doch eine größere Korrektur? Denn klar ist: Die inzwischen doch sehr hohen Erwartungen der Anleger bergen großes Enttäuschungspotenzial. Für unangenehme Überraschungen ist nämlich schlicht kein Platz vorhanden. Die Relation von Chance zu Risiko, die hat sich dadurch deutlich verschlechtert.
Und um noch einmal zum Thema Volatilität zurückzukehren: Die Kursschwankungen an den Kapitalmärkten, speziell an den Aktienbörsen, sind schon seit Monaten extrem gering. Im Vergleich mit der Historie zu gering. Blickt man zurück, kam es seit 1975 pro Kalenderjahr im Schnitt zu zwischenzeitlichen Korrekturen um 18 Prozent - in diesem Jahr sind es gerade erst drei Prozent. Ein Ansteigen der Marktschwankungen in den kommenden Monaten - in der Regel verbunden mit fallenden Kursen - sollte für Anleger somit nicht überraschend kommen.
Wo stehen wir also jetzt? Die Märkte befinden sich in der Spätphase eines Aufschwungs - man kann es nicht oft genug betonen. Und dieser Aufschwung läuft schon seit 2009, ist also inzwischen einer der längsten der Börsenhistorie. Aber, und das ist die gute Nachricht: Das kann durchaus noch eine Weile so bleiben, weil die Fundamentaldaten auf Sicht von sechs bis zwölf Monaten stimmig sind. Kurzfristig sieht es aber nicht ganz so gut aus: Aspekte wie die teils sorglosen Anleger, die hohen Erwartungen und Bewertungen sowie die zuletzt sehr niedrige Volatilität sind Warnung genug für vielleicht bald anstehende stürmische Zeiten. Als Anleger sollte man sehr wachsam sein und bei Bedarf die Reißleine ziehen.
Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com