Neue Schocknachrichten für CDU/CSU und deren Kanzlerkandidaten Armin Laschet: Laut Forsa ist die Union in den Umfragen für die Bundestagswahl am 26. September auf nur noch 19 Prozent gesunken. Das ist der mit weitem Abstand niedrigste Wert, der jemals für die CDU/CSU gemessen wurde. Er liegt meilenweit unter dem Rekordtief von 31 Prozent, das die Union bei der ersten Bundestagswahl im Jahr 1949 erreicht hatte. Unterdessen kommt die SPD, angetrieben von ihrem beliebten Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, auf 25 Prozent und führt die Rangliste klar an, gefolgt von Bündnis 90/Die Grünen und deren Kandidatin Annalena Baerbock auf Rang 3 mit 17 Prozent.
Sollte es am Wahlabend tatsächlich so ausgehen, müsste sich Scholz nach der späteren Einigung mit den Grünen seinen zweiten Koalitionspartner zwischen FDP und der Partei Die Linke aussuchen. Damit würde Deutschland erstmals von einem Dreierbündnis regiert.
Während eine mögliche Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP für keinerlei Turbulenzen am Aktienmarkt sorgen dürfte, würde ein Bündnis von Rot-Grün-Rot, das Scholz nicht ausgeschlossen hat, einen kräftigen Linksruck und damit einen Politikwechsel bedeuten. Dennoch bereitet die Wahl vielen Privatanlegern offenbar kaum Kopfzerbrechen. Laut einer Umfrage des Deutschen Derivate Verbands (DDV) messen 28,5 Prozent der befragten Privatanleger dem Thema einen großen Einfluss auf ihr Investitionsverhalten zu, allerdings geht die größte Gruppe von 31,4 Prozent von einem weniger großen Einfluss aus.
Steuererhöhungen befürchtet
Unterdessen warnen viele Finanzprofis vor einem möglichen Linksbündnis, zumal es nach der jüngsten Rekordfahrt des DAX und anderer Indizes zuletzt etwas Abwärtsdruck gegeben hat. "Ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linken würde die deutsche Börse verschrecken und zu einer Korrektur in den wesentlichen nationalen Aktienindizes führen", sagt David Wehner, Fondsmanager bei Do Investment. "Die SPD und die Grünen stehen für Steuererhöhungen und eine Vermögensteuer. In einer Phase, in der die deutsche Wirtschaft sich aus der Corona-Pandemie herausarbeitet und die Haushalte mit steigenden Inflationsraten und Lebenshaltungskosten konfrontiert sind, sind Steuererhöhungen Gift", so der Experte.
So wollen SPD und Grüne nach dem massiven Anstieg der Staatsschulden aufgrund der Pandemie Spitzenverdiener durch einen Aufschlag bei der Einkommensteuer deutlich belasten. Zudem soll die Vermögensteuer wieder eingeführt werden. Außerdem dürfte die Koalition laut Wehner die Staatsausgaben erheblich erhöhen, was zu steigenden Zinsen führen dürfte. "Ferner wäre eine Vergemeinschaftung von europäischen Staatsschulden unter einer Linksregierung denkbar, obwohl dies aufgrund der starken Interventionen seitens der EZB derzeit nicht diskutiert wird."
Laut dem Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen ist das Thema soziale Gerechtigkeit das bedeutendste für die Wahlentscheidung. 51 Prozent der Befragten bezeichnen es als sehr wichtig. Auf Platz 2 folgt der Klimaschutz mit 39 Prozent. Ganz oben auf der Agenda der möglichen neuen Regierung wird der Klimaschutz stehen, wobei - je nachdem, wie ambitioniert die künftigen Maßnahmen ausfallen werden - einzelne Branchen davon profitieren, während andere darunter leiden werden. Die Grünen wollen die CO2-Emissionen bis 2030 um 70 Prozent gegenüber 1990 reduzieren, nachdem das Ende Juni verabschiedete neue Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) das Treibhausgasminderungsziel von 55 Prozent auf 65 Prozent angehoben hat.
Darüber hinaus wollen die Grünen bis zum Jahr 2041 Klimaneutralität erreichen, während die SPD diese erst für 2045 anstrebt. Außerdem dürfte unter einem Linksbündnis der Kohleausstieg beschleunigt werden; die Grünen peilen ihn bis 2030 an, während bislang 2038 als Enddatum gilt. "Die Grünen sprechen sich für einen rascheren Anstieg der CO2-Preise und stärkere Interventionen aus, darunter das Auslaufen von Verbrennungsmotoren bis 2030", schreiben die Analysten der UBS.
Autosektor im Fokus
Deren Kollegen von der Investmentbank Kepler Cheuvreux haben in einer Studie die möglichen Auswirkungen einer Ampelkoalition und eines Linksbündnisses auf acht wichtige Sektoren hierzulande untersucht und mahnen: "Die stärker auf das Inland fokussierten Sektoren wie Immobilien, Versorger sowie Fluggesellschaften und Flughäfen wären besonders vom Politikwechsel betroffen. Darüber hinaus könnten unter anderem steigende Energiekosten und die Veränderung des Mobilitätsmix auch (die Branchen) Autos, Chemie, Bergbau und die Anbieter von Investitionsgütern beeinträchtigen", schreiben die Analysten Oliver Reinberg und Nikolas Mauder. Zwar könne die Unterstützung der Regierung den Ausbau der Elektromobilität deutlich vorantreiben, doch je stärker der Umstieg beschleunigt werde, desto weniger Zeit hätten die Autohersteller, um mit Verbrennungsmotoren ordentlich Geld zu verdienen und so den Umstieg zu finanzieren.
Laut Kepler Cheuvreux könne das vor allem Daimler und BMW sowie Zulieferer wie Norma belasten, wohingegen Volkswagen davon profitieren könne, weil sich der Konzern stärker auf E-Mobilität fokussiere, inklusive der Produktion von Batteriezellen. Dabei leidet die Branche ohnehin unter der kräftigen Abkühlung des Wirtschaftswachstums und dem Absatzeinbruch bei Pkw in den USA. Auch die Verkäufe in China, dem mit weitem Abstand größten Markt der Welt, sind im Juli den dritten Monat in Folge gegenüber dem Vorjahr gesunken. Neben der weltweiten Chipknappheit trugen in China zusätzlich Überschwemmungen in einigen Gegenden dazu bei.
Chemiefirmen unter Druck
Ein frühzeitigeres Verbot von Verbrennungsmotoren hätte zudem erhebliche Auswirkungen auf die Chemieindustrie. Laut den Finanzprofis von Kepler macht die Autoindustrie direkt und indirekt insgesamt 25 Prozent der Umsätze der Chemiefirmen aus, womit die Autobranche deren wichtigster Abnehmer sei, zum Beispiel von Sitzen, Reifen oder Lacken. "Daher ist die wirtschaftliche Situation der Autoindustrie, besonders jene der deutschen Hersteller, von größter Bedeutung für die deutschen Chemiefirmen", so die Experten.
Zudem würden steigende CO2-Preise zur Beschleunigung des Kohleausstiegs den Chemiesektor belasten, weil sie die Produktionskosten erhöhen würden. Hingegen würde der Umstieg auf Elektromobilität ausgeklügelte Chemie- und Plastikprodukte wie Polycarbonat erfordern, was deren Herstellern zugutekäme. Dennoch gehen die Analysten insgesamt von negativen Auswirkungen auf Unternehmen wie BASF, Covestro oder Lanxess aus.
Hingegen käme die verstärkte Fokussierung auf den Klimaschutz einigen Unternehmen zugute, speziell Nordex. Der Hersteller von Windkraftanlagen hat laut den Kepler-Analysten 2019 bis 2020 lediglich drei bis vier Prozent seiner Umsätze in Deutschland gemacht, historisch seien es allerdings 15 bis 20 Prozent gewesen. Energieminister Peter Altmaier will den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben und hat zuletzt die Ausschreibungsmengen für Wind an Land für 2022 von 2,9 auf 4,0 Gigawatt (GW) erhöht.
Im Gegenzug wäre ein beschleunigter Kohleausstieg eine Belastung für Versorger, besonders für RWE. Das Ausmaß werde davon abhängen, ob und wie groß die möglichen Ausgleichszahlungen des Staates seien. Hingegen könne der Wettbewerber Eon vom steigenden Investitionsbedarf in seine Netze profitieren.
Belastungen für Wohnungskonzerne
Ein weiteres wichtiges Thema für die Regierung wird das Thema Wohnen und Miete sein. SPD, Grüne und Linke wollen Mieterhöhungen drastisch begrenzen und teilweise sogar für Mietsenkungen sorgen. Die Grünen wollen Mietobergrenzen im Bestand einführen, während die Partei ebenso wie die SPD die Mietpreisgrenze, die bis Ende 2025 verlängert worden ist, entfristen will. Wegen der Mietpreisbremse darf bei der Wiedervermietung von Bestandswohnungen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt die Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen.
"Eine Stimmungseintrübung könnte im Bereich der börsennotierten Immobiliengesellschaften drohen. Ein stärkeres SPD-Gewicht in der Regierung und/oder eine Beteiligung der Grünen dürften insbesondere bei Wohnimmobilien die Gefahr von restriktiven Eingriffen erhöhen", schreibt Chris-Oliver Schickentanz, Chefanlagestratege der Commerzbank. "Hier gibt es zwar das Korrektiv des Bundesrates. Das dürfte aber nur bedingt Wirkung entfalten", so der Experte. Damit würden Kon- zerne wie Vonovia, Deutsche Wohnen oder LEG Immobilien wohl zu den Verlierern einer Linksregierung gehören. "Es zeichnet sich schon jetzt ab, dass auf Einzeltitelebene Immobilienunternehmen wie die Deutsche Wohnen und Vonovia (die derzeit eine Fusion planen) und einige der Konzerne mit großem Klimafußabdruck wie HeidelbergCement, Lufthansa und Thyssenkrupp schlechter gestellt wären als unter der jetzigen Regierung", schrieb Christian Kahler, Analyst der DZ Bank, Ende Mai mit Blick auf ein Linksbündnis.
Gegenwind für Flugbranche
Die Grünen wollen zudem das Fliegen deutlich zurückdrängen und am Ziel der Klimaneutralität ausrichten. "Kurzstreckenflüge wollen wir bis 2030 überflüssig machen, indem wir die Bahn massiv ausbauen. Die Zahl von Langstreckenflügen gilt es zu vermindern und das Fliegen gleichzeitig zu dekarbonisieren", heißt es im Wahlprogramm. Darauf müssen sich die Lufthansa, die 2020 mit 3,4 Milliarden Euro rund 25 Prozent ihrer Konzernerlöse in Deutschland erzielt hat, sowie Flughafenbetreiber wie Fraport einstellen. Bei Fraport machten im vergangenen Jahr die hiesigen Umsätze von 1,1 Milliarden Euro sogar rund zwei Drittel der Einnahmen des Unternehmens aus. Deutlich steigende CO2-Preise wären zudem schlechte Nachrichten für Unternehmen in energieintensiven Branchen wie Thyssenkrupp oder HeidelbergCement.
Neben den obigen Themen stehen noch etliche andere auf der Agenda, allen voran die Digitalisierung. Laut den Analysten von Kepler Cheuvreux dürfte davon besonders die Deutsche Telekom profitieren.
"Egal wer die nächste Regierung als Kanzler oder Kanzlerin anführt und welche Farbkombination sich am Ende am Kabinettstisch wiederfindet: Auf die nächste Bundesregierung wartet deutlich mehr Arbeit, als sich Frau Merkel im letzten Viertel ihrer Amtszeit selbst zumuten wollte", sagt unterdessen Axel D. Angermann, Chefvolkswirt der Feri Gruppe.