Eingetrübte Konjunkturaussichten, eine aus Sicht der Europäischen Zentralbank viel zu schwache Inflation und dazu die US-Handelskonflikte und der nahende Brexit: Das setzt die Währungshüter mächtig unter Zugzwang. Ökonomen gehen davon aus, dass der EZB-Rat auf seiner Zinssitzung am Donnerstag in Frankfurt ihre bereits sehr offenen Geldschleusen noch weiter aufreißen werden. Erwartet wird ein ganzes Bündel an Schritten zur Stützung der Konjunktur. Für Draghi ist es bereits das vorletzte Zinstreffen. Ende Oktober läuft seine Zeit am Steuer der Euro-Notenbank nach acht Jahren ab.

"Am kommenden Donnerstag dürfte die EZB ein Maßnahmenpaket aus Leitzinssenkung, Staffelzins und neuen Anleihenkäufen ankündigen, um ein starkes Signal zu senden", ist sich Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert sicher. Sie hatte dafür auf ihrer Zinssitzung im Juli bereits wichtige Weichen gestellt. Der Umfang der Schritte dürfte dabei auch von neuen Inflations- und Wachstumsprognosen der EZB-Volkswirte abhängen, die den Euro-Wächtern am Donnerstag vorliegen werden. "Ein noch tieferer Einlagensatz schaut wie eine sichere Wette aus", meint Andrew Kenningham, Chefvolkswirt Europa des Analysehauses Capital Economics. Er erwartet, dass der Zinssatz von minus 0,4 auf minus 0,5 Prozent gesenkt wird. Andere Experten halten auch einen Schritt auf minus 0,6 Prozent für möglich.

Der Einlagenzins ist bereits seit 2014 negativ. Seitdem müssen Banken Strafzinsen zahlen, wenn sie bei der EZB überschüssiges Geld parken. Der Schlüsselsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld liegt seit März 2016 auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Experten zufolge werden Draghi & Co die Zinssenkung wahrscheinlich mit Erleichterungen für Banken koppeln, um die Nebenwirkungen noch höherer Strafzinsen zu mildern. Jörg Angele, Analyst beim Schweizer Bankhaus Bantleon, glaubt, dass der EZB-Rat aus diesem Grund einen gestaffelten Einlagensatz einführen wird. "Ein Einlagensatz von minus 0,5 Prozent oder minus 0,6 Prozent käme dann nur bei dem Teil der Überschussreserven zum Tragen, der eine - wohl hoch bemessene - Obergrenze übersteigt." Vor allem deutsche, französische, niederländische und Luxemburger Banken würden davon profitieren.

Streitthema Anleihenkäufe


Eine Neuauflage der Anleihenkäufe ist dagegen wesentlich strittiger, wie unlängst von Notenbank-Insidern zu erfahren war. Bundesbank-Chef Jens Weidmann, EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger, der Notenbankchef der Niederlande, Klaas Knot, und zuletzt auch der Gouverneur der Banque de France, Francois Villeroy de Galhau, hatten alle öffentlich Bedenken geäußert. Die EZB erwarb bereits fast vier Jahre lang bis Ende 2018 Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Umfang von 2,6 Billionen Euro. Das Programm war dann zu einem Zeitpunkt eingestellt worden, als es der Konjunktur deutlich besser ging.

Trotz der Bedenken gehen viele Experten davon aus, dass sich Draghi am Ende bei den Anleihenkäufen durchsetzen wird. "Aus EZB-Sicht rührte der größte Anschub-Effekt für Wachstum und Inflation bislang tatsächlich von den Anleihenkäufen her", sagt etwa Kjersti Haugland, Chefvolkswirtin des norwegischen Bankhauses DNB. Sie erwartet einen Neustart der Transaktionen mit einem monatlichen Kaufvolumen von 50 Milliarden Euro für mindestens sechs Monate. Die Commerzbank rechnet mit monatlich 40 Milliarden Euro für zunächst neun Monate. Aus Sicht von Bantleon-Experte Angele dürfte mit den neuen Käufen auch der Zeitpunkt einer möglichen Zinserhöhung noch weiter nach hinten rücken. "Entprechend wird die Notenbank ihre Forward Guidance erneut anpassen und Zinsanhebungen bis Ende 2020 ausschließen." Bisher gilt dies nur bis Mitte 2020. Letztmalig hatte die EZB im Jahr 2011 ihre Schlüsselzinsen angehoben.

rtr