ERLANGEN (dpa-AFX) - Der Medizintechnikkonzern Siemens Healthineers ist einer der Profiteure der Corona-Krise gewesen. Doch auch abseits der Pandemie sieht die Siemens-Tochter zahlreiche Chancen im Gesundheitssektor und setzte sich zuletzt höhere Mittelfristziele. Ein Schlüsselelement soll dabei die US-Neuerwerbung Varian werden, mit der Healthineers sein Krebsgeschäft ausbauen will. Was beim Unternehmen los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

LAGE BEI SIEMENS HEALTHINEERS:

Der Medizintechnikkonzern kann auf ein erfolgreiches Geschäftsjahr 2020/21 (per Ende September) zurückblicken. Vor allem das Geschäft mit den Antigen-Schnelltests boomte und steuerte einen Milliardenerlös bei. Diese vom Management um Konzernchef Bernd Montag als "Sonderkonjunktur" bezeichnete Entwicklung wird sich den Erwartungen zufolge zwar im laufenden Jahr nicht wiederholen, dennoch herrscht Zuversicht in Erlangen.

So will das Unternehmen, das unter anderem mit der niederländischen Konzern Philips konkurriert, sein Wachstum mittelfristig beschleunigen. Kurzfristig dürfte jedoch im besten Fall nur ein leichtes Umsatzplus herausspringen, wobei nochmals ein robustes erstes Quartal erwartet wird. Healthineers will am 3. Februar dazu Zahlen veröffentlichen.

Für die Geschäftsjahre 2023 bis 2025 strebt das Management hingegen ein vergleichbares Umsatzwachstum von sechs bis acht Prozent pro Jahr an. Dabei sind Zu- und Verkäufe sowie Währungseffekte ausgeklammert. Das bereinigte Ergebnis je Aktie soll um 12 bis 15 Prozent jährlich zulegen.

Vor der Veröffentlichung der neuen Ziele im November hatte sich Healthineers noch mittelfristig ein vergleichbares Umsatzplus von mindestens fünf Prozent sowie ein bereinigtes Ergebniswachstum von rund zehn Prozent pro Jahr zum Ziel gesetzt.

Dabei setzt das Unternehmen auf Innovationen und die Erschließung neuer Märkte. Healthineers will sich hierzu auf die Bekämpfung schwerwiegender Krankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauf- und neurovaskuläre Erkrankungen konzentrieren. In Forschung und Entwicklung sollen 8 bis 9 Prozent des Umsatzes investiert werden, was Unternehmensangaben zufolge "branchenführend" ist.

Der Konzern will vor allem in der Krebstherapie wachsen. Helfen soll dabei der Strahlentherapie-Spezialist Varian, dessen Übernahme Healthineers im April 2021 für rund 16 Milliarden US-Dollar abgeschlossen hatte. Die Neuerwerbung soll überdurchschnittlich zulegen und ihren vergleichbaren Umsatz um 9 bis 12 Prozent pro Jahr steigern sowie bis 2025 eine Marge von mehr als 20 Prozent erreichen.

Dabei erhöhte das Unternehmen auch die Synergieziele. Auch in den übrigen Sparten rechnet Healthineers mit weiterem Wachstum, insbesondere der Bildgebung sowie der Präzisionsmedizin.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Viele Experten sind optimistisch und empfehlen derzeit die Aktie zum Kauf von den 26 bei der Nachrichtenagentur Bloomberg erfassten Experten haben 18 ein positives Votum und acht eine neutrale Einstufung - Verkaufsempfehlung gibt es keine. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei etwas mehr als 70 Euro und damit ein Fünftel über dem aktuellen Niveau.

Jefferies-Analyst James Vane-Tempest zum Beispiel verwies auf eine hauseigene Erhebung zur Strahlenonkologie, die einen Wettbewerbsvorteil für Healthineers aufzeige und die jüngsten Konzernziele stütze. Delphine Le Louët von der französischen Großbank Societe Generale stützt ihr Kauf-Votum auf die strukturell wachsenden Endmärkte, auf Innovationen - besonders im Bereich Bildgebung -, auf marktführende Stellungen des Medizintechnikkonzerns und ein Margenverbesserungspotenzial. Zudem sieht sie erste Synergien durch die Integration von Varian.

Analyst Scott Bardo von der Privatbank Berenberg zeigte sich mit Blick auf die mittelfristigen Aussichten zuversichtlich: Varian dürfte dazu beitragen, Siemens Healthineers auf ein dynamischeres Umsatzwachstumsprofil mit der Perspektive auf robuste Gewinnsteigerungen im unteren bis mittleren Zehnprozentbereich auszurichten, schrieb der Experte.

JPMorgan-Analyst David Adlington thematisierte unterdessen das Problem der pandemiebedingten Lieferkettenunterbrechungen. Aus diesem Grund dürften Unternehmen aus dem europäischen Medizintechniksektor mit ihren Ausblicken für 2022 vorsichtig sein, glaubt der Branchenkenner, hält dies jedoch für keine Überraschung.

Als Siemens Healthineers im November seine Jahreszahlen vorlegte, hatten die Engpässe zu dem Zeitpunkt beim Unternehmen nach eigenen Angaben noch kein großes Problem dargestellt - anders als etwa für den Konkurrenten Phillips.

Dabei scheint dem Analysten zufolge bei dem Medizintechnikkonzern die aktuelle Nachfrage im Vergleich zu früheren Corona-Wellen robust zu sein. Allerdings habe Vorstandschef Montag jüngst auf der Healthcare Conference der US-Bank signalisiert, dass die Margeneinbußen wohl am oberen Ende der zu Jahresbeginn prognostizierten Bandbreite von 0,3 bis 0,5 Prozentpunkten herauskommen dürften, schrieb der Experte in einer Studie Mitte Januar.

Sowohl die Auftragslage als auch die Installation medizintechnischer Anlagen in Krankenhäusern seien auf kurze Sicht jedoch deutlich robuster gewesen, notierte Adlington wenig später im Nachgang.

Mit Blick auf das erste Quartal sieht das Analysehaus Kepler Cheuvreux coronabedingt noch einmal Überraschungspotenzial im Geschäft mit den Antikörper-Schnelltests. Die Bildgebungssparte sollte das Umsatzwachstum des Medizintechnikkonzerns angetrieben haben, schätzt Analyst William Mackie, der die Aktie derzeit zum Halten empfiehlt. Die Gewinnentwicklung im Gesamtkonzern dürfte derweil im zweiten Geschäftshalbjahr Fahrt aufnehmen.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Das Papier gehörte im vergangenen Jahr zu den Corona-Gewinnern und legte mit kleineren Unterbrechungen einen Rekordlauf hin, der erst Anfang Dezember mit einem neuen Höchststand von 67,66 Euro endete. Danach beruhigte sich das Geschehen etwas. Im Januar konnte sich die Siemens-Healthineers-Aktie dem volatilen und schwierigen Marktumfeld nicht entziehen und gab kontinuierlich nach.

Mit der Talfahrt der Aktienmärkte zu Wochenbeginn rutschte der Kurs des seit Mitte September im Dax notierten Unternehmens wieder unter die Marke von 60 Euro. Healthineers kommt damit auf eine Marktkapitalisierung auf rund 65 Milliarden Euro.

Seit Beginn des Jahres hat Siemens Healthineers damit rund zwölf Prozent an Wert eingebüßt und sich schwächer als der Leitindex entwickelt, der lediglich rund vier Prozent nachgab. In den vergangenen zwölf Monaten kommt das Papier hingegen auf ein Plus von 25 Prozent und damit deutlich mehr als der deutsche Leitindex.

Zudem hing Siemens Healthineers den Konkurrenten Philips am Kapitalmarkt zuletzt deutlich ab. Das Unternehmen, das derzeit mit Produktproblemen sowie Lieferkettenschwierigkeiten kämpft, kommt binnen Jahresfrist auf ein Minus von fast 40 Prozent. Der Börsenwert der Niederländer liegt damit nur noch bei rund 25 Milliarden Euro deutlich unter der Marktkapitalisierung des deutschen Konzerns.

Seit dem Börsengang im März 2018 bereitete Siemens Healthineers den Anlegern unter dem Strich viel Freude. Das Papier war zu 28 Euro ausgegeben worden, der Kurs stieg seitdem stetig an. Längst vergessen ist der Corona-Crash an den Börsen im Frühjahr 2020, bei dem die Aktie kurzfristig wieder unter 30 Euro gefallen war.

Und auch die milliardenschwere Varian-Übernahme, die Healthineers unter anderem mit frischem Kapital finanzierte, sorgte nur zwischenzeitlich für maue Stimmung. Der Technologiekonzern Siemens ist mit rund 75 Prozent weiterhin Mehrheitsaktionär. Das Paket ist damit fast 50 Milliarden Euro wert. Siemens selbst kommt derzeit auf einen Börsenwert von 117 Milliarden Euro./nas/tav/zb

Quelle: dpa-Afx