Wie "Süddeutsche Zeitung", NDR und WDR unter Verweis auf den Durchsuchungsbeschluss am Donnerstag berichteten, wurde die Abgasreinigung nach Ansicht der Strafverfolger bei amtlichen Messungen auf dem Prüfstand durch eine Software ein- und auf der Straße weitgehend ausgeschaltet. Das Bundesverkehrsministerium bestellte Vertreter von Daimler für den Nachmittag zu einer Sondersitzung ein. Daimler stehe selbstverständlich für Gespräche mit dem Ministerium zur Verfügung, sagte ein Sprecher.

"Wir haben die Arbeit der Behörden in der Vergangenheit stets unterstützt und werden dies auch künftig tun", sagte der Firmensprecher weiter. Die Untersuchungskommission Volkswagen des Verkehrsministeriums lud Daimler angesichts der neuen Vorwürfe zur Berichterstattung. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart bekräftigte, es gehe um einen Verdacht, wollte zu Details aber keine Stellung nehmen.

Die Aktien des Dax-Konzerns knickten zu Handelsbeginn um mehr als zwei Prozent ein, begrenzten die Verluste aber dann. Denn trotz der Details aus den strafrechtlichen Ermittlungen bleibt abzuwarten, ob die Staatsanwaltschaft gegen Mitarbeiter des Autobauers Anklage wegen Betruges durch die Manipulation der Abgasnachbehandlung erheben wird. Dem Medienbericht zufolge sind zwei Verdächtige namentlich bekannt. Die Staatsanwaltschaft hatte im Mai erklärt, es handele sich bei den bekannten Personen nicht um Vorstandsmitglieder. Die Ermittler hatten mit einem Großaufgebot von mehr als 230 Beamten am 23. Mai elf Objekte in mehreren Bundesländern nach Beweisen durchsucht.

MEHR ALS EINE MILLION VERDÄCHTIGE MERCEDES-FAHRZEUGE



Nach dem Medienbericht kreiste die Staatsanwaltschaft im Durchsuchungsbeschluss die Zahl der Fahrzeuge mit verdächtig hohem Schadstoffausstoß ein: Es geht demnach um mehr als eine Million Autos und Kleintransporter, die von 2008 bis 2016 in Europa und den USA verkauft worden seien. Diese seien mit den Motoren OM 642 und OM 651 wegen der Abschalteinrichtungen auf dem europäischen Markt nicht zulassungsfähig gewesen. Daimler habe die Abschalteinrichtung dem KBA gegenüber nicht offengelegt. Es bestehe die Gefahr eines Entzugs der Zulassung. Das KBA sehe aber bislang keinen Anlass dafür. Ein Daimler-Sprecher erklärte dazu: "Die Gefahr einer Stilllegungsverfügung sehen wir nicht." In der Vergangenheit hatte der Autobauer darauf gepocht, nicht mit einer illegalen Abschalteinrichtung gegen geltendes Recht verstoßen zu haben.

Analysten vertrauten weiterhin darauf, dass Daimler nicht gegen Gesetze verstoßen hat. "Uns trösten die anhaltenden Beteuerungen von Daimler, dass ihre Fahrzeuge die relevanten, wenn auch lockeren Vorschriften einhalten", erklärte Christoph Schlüter von der Citi Bank. Arndt Ellinghorst vom Investmentberater Evercore ISI tat den Medienbericht ab als eine Verteufelung von Diesel und Autoherstellern, "die mehr in Mode gekommen ist, als Rose-Flaschenkorken in Südfrankreich knallen zu lassen". Max Warburton von Bernstein Research erklärte, Daimler werde angesichts der unklaren Rechtslage in Europa wohl mit einem Rückruf davonkommen und keine Strafe zahlen müssen. Kostenpunkt nach seiner Schätzung: ein bis zwei Milliarden Euro.

Daimler geriet im Schlepptau des Dieselskandals bei Volkswagen in das Visier von Ermittlern in den USA und Deutschland. Wie dieses Verfahren nun weitergeht, ist unklar. Daimler hatte im Geschäftsbericht gewarnt, die US-Behörden könnten ihre Abgaskontrollfunktionen so wie die von anderen Autobauern als illegal bewerten. Das könne erhebliche Folgen für Ertragslage und Ansehen haben.

VW hatte im September 2015 zugegeben, bei elf Millionen Pkw weltweit die Abgasnachbehandlung manipuliert zu haben. Mit einer Abschalteinrichtung wurde der Ausstoß gesundheitsschädlichen Stickoxids nur auf dem Prüfstand unter den Grenzwert gebracht, auf der Straße lag er ein Vielfaches höher. Nach geltendem Recht dürfen Dieselautos auf der Straße auch mehr Stickoxid ausstoßen als die vorgeschriebenen 80 Milligramm pro Kilometer, wenn sonst der Motor beschädigt würde. Diese Ausnahme nutzten Daimler und andere Autobauer nach Ansicht des Bundesverkehrsministeriums und des KBA zu weit aus. Sie drängten gut ein Dutzend Hersteller deshalb im vorigen Jahr zu einer freiwilligen Nachbesserung von Dieselautos. Auf Mercedes-Benz entfiel mit knapp 250.000 Fahrzeugen der größte Anteil.