Herr Prof. Dudenhöffer, laut Medienberichten steht VW im Abgasskandal kurz vor einem Vergleich in den USA. Die erwartete Einigung sieht im Kern offenbar den Rückkauf von bis zu 500.000 Fahrzeugen mit Schummeldiesel sowie eine Entschädigungszahlung vor. Wie beurteilen Sie eine solche Vereinbarung?


Wenn es tatsächlich so kommen sollte, wäre das ein ganz wichtiger Schritt für Volkswagen. Der Konzern hat in der Dieselaffäre mit Kenneth Feinberg einen absoluten Top-Juristen angeheuert, der sehr viel Erfahrung mit solchen Mammutverfahren hat. Das zahlt sich nun aus. Natürlich würde die gesamte Einigung einschließlich Strafzahlen, Nachbesserung der Autos und Aktionärsklagen eine zweistellige Milliarden-Summe kosten. Aber es wäre ein Befreiungsschlag.

Hätte VW dann den größten Mühlstein vom Hals?


Es gibt mehrere Mühlsteine. Ein großer Mühlstein ist die juristische Auseinandersetzung mit den US-Behörden. Der zweite große Mühlstein sind natürlich die Aktionäre. Sollte es zu einer Einigung mit den US-Behörden und mit den betroffenen Kunden kommen, wäre zumindest ein großes Risiko schon mal handhabbar gemacht.

Neben der möglichen Einigung mit der US-Umweltbehörde EPA drohen ja noch weitere milliarden-schwere Belastungen aus der Klage des US-Justizministeriums wegen Umweltvergehen. Bleibt die Krise für VW existenzbedrohend oder kommt der Konzern mit zwei blauen Augen davon?


Es werden zwei dicke blaue Augen. Keine Institution auf der ganzen Welt hat ein Interesse daran, ein Unternehmen zu zerstören. Aber man hat großes Interesse daran, Volkswagen öffentlich zu signalisieren, wo es Grenzen gibt. Deshalb wird Volkswagen bei Dieselgate mit Belastungen im zweistelligen Milliardenbereich rechnen müssen. Ob es hier um Beträge im niedrigen, mittleren oder hohen zweistelligen Milliardenbereich geht, weiß heute niemand. Aber wird richtig weh tun. Doch bei all den Milliarden bleibt eine gute Botschaft: Volkswagen fährt nicht unaufhaltsam gegen die Wand.

Auf Seite 2: Wie kann Volkswagen den Absatzrückgang in den USA stoppen?





Die rechtliche Lösung ist ein erster Schritt. Aber der Dieselskandal hat VW viel Vertrauen gekostet. Vor allem in den USA bricht der Absatz weg. Im ersten Quartal steht ein Minus von 12,5 Prozent bei der Kernmarke VW. Wie kann Volkswagen diesen Trend wieder drehen?


Das können Sie vergessen. Die Marke VW wird in den USA nicht mehr funktionieren. Punkt. Es ist eine Unternehmensentscheidung, wie Volkswagen künftig in den USA weitermacht. Aber die Frage ist doch: Braucht der Konzern die Marke Volkswagen in den USA?

Was glauben Sie?


Meine Antwort wäre Nein. Es gibt bessere Marken im Konzern, zumal VW eine ertragsschwache Marke ist. Mit Skoda verfügt der Konzern zudem über eine Marke, mit nahezu den gleichen Autos bei vergleichbarer Qualität und teilweise besserem Design, aber deutlich günstigeren Kosten je Fahrzeug. Wenn Volkswagen mit einer solchen unbelasteten Marke nach Amerika ginge, müsste der Konzern zwar Bekanntheit aufbauen, was zunächst viel Geld kostet. Aber das wäre noch immer viel günstiger als das völlig zerstörte VW-Image auszubeulen.

Volkswagen ist mit Porsche und Audi in den USA gut bedient. Vor dem Hintergrund der Dieselkrise wäre es sicher eine gute Idee, das Markenportfolio entsprechend anzupassen. Dann ist VW in den USA eben Vergangenheit. Aber davon geht die Welt nicht unter - und VW auch nicht.

Rechnen Sie mit dem Rückzug in den USA?


Das ist eine naheliegende Überlegung. Aber es gibt da durchaus einige Blockaden. Denken Sie nur daran, dass die Familie Piech sehr stark an der Marke VW hängt.

Auf Seite 3: Wie müssen sich bei Volkswagen die Strukturen ändern?





Viele Beobachter sehen zumindest einen Teil der Erklärung für die jüngsten Vorgänge und die im Wettbewerbsvergleich zu hohen Kosten bei Volkswagen auch in den verkrusteten Strukturen. Was müsste sich hier ändern?


Das Land Niedersachsen muss aus dem Aufsichtsrat raus. Das ist die einzige Möglichkeit.

Wieso?


Es gibt bei Volkswagen eine unheilige Verbindung zwischen dem Land Niedersachsen und der Gewerkschaft. Rund 95 Prozent der VW-Mitarbeiter sind bei der IG Metall. Im Aufsichtsrat gilt wie in Unternehmen dieser Größenordnung üblich die paritätische Mitbestimmung. Damit kontrolliert die IG Metall 50 Prozent der Stimmen im Aufsichtsrat. Weitere 20 Prozent hält das Land Niedersachsen. Das können Sie bei der IG Metall und Betriebsratschef Bernd Osterloh obendrauf rechnen. Denn in wesentlichen Fragen gibt es eine Interessen-Identität zwischen dem Land und der Gewerkschaft.

Nämlich?


Denken Sie zum Beispiel an Überlegungen zur Auslagerung von Teilen der Produktion. Das können Sie bei VW abhaken. Denn wenn bei VW auch nur eine einzige Stelle wegfällt, hat der SPD-Ministerpräsident Stephan Weil ein Problem. Schließlich sind das seine Wähler. Die Volkswagen AG hat alleine 112.000 Mitarbeiter. Herr Weil wird nichts tun, was gegen die Interessen dieser Mitarbeiter bzw. gegen die Interessen der IG Metall steht. Die wird von Bernd Osterloh geführt. In Wolfsburg geht gegen ihn gar nichts. Der wahre Herr bei Volkswagen ist er und sonst niemand.

Aber wie wahrscheinlich ist es, dass Niedersachsen sich bei Volksagen zurückzieht?


Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt bei Null. Das ist das VW-Problem. Im Kern hat Volkswagen kein Problem mit Dieselgate, sondern mit seiner Eigentümer-Struktur und den Machtverhältnissen in Wolfsburg. Das müssen sie lösen, am besten, indem sich das Land Niedersachsen von seinen Aktien trennt und das Geld zur Schuldentilgung einsetzt. Der Niedersachsen-Klüngel blockiert den Konzern. Das führt dazu, dass VW wegen hoher Kosten seine Wettbewerbsfähigkeit weiter einbüßt und auf lange Sicht endgültig verliert.

Ein großer Aufreger in der aktuellen Diskussion sind die Boni für die Konzern-Vorstände. Bislang steht eine Kürzung von 30 Prozent im Raum. Morgen tagt der Volkswagen-Aufsichtsrat. Dann wird auch die Bonus-Frage ein Thema sein. Ist eine Bonus-Kürzung von 30 Prozent ausreichend?


Ein Verzicht ist eine Notwendigkeit, je größer, desto besser - für die Mitarbeiter, die Öffentlichkeit, die Aktionäre und das Unternehmen. Wenn die VW-Vorstände nicht nur für das eigene Portemonnaie Verantwortung übernehmen wollen, sondern für das gesamte Unternehmen, werden sie bereit sein, auf ihre Boni zu verzichten - sonst nicht.

Wann kommt der Konzern wieder einigermaßen zur Ruhe?


Das hängt von der Gesellschafterstruktur ab. Wenn alles so bleibt wie bisher und Niedersachsen weiter mitmischt, wird es bei Volkswagen keine Ruhe geben.