"Das ist Thema im Vermittlungsschuss", sagte eine mit den Beratungen befasste Person am Mittwoch. Zwei weitere Eingeweihte bestätigten dies. Das "Handelsblatt" berichtete, die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat hätten Diess am vergangenen Mittwoch das Vertrauen entzogen. Aus dem Umfeld des Aufsichtsrats hieß es, es werde eine Einigung gesucht: "Derzeit werden konstruktive und vertrauliche Gespräche geführt." Etwaige Ergebnisse würden zu gegebener Zeit mitgeteilt.
Die Porsche SE, über die die Familien Porsche und Piech die Mehrheit an dem Wolfsburger Konzern halten, wollte sich nicht äußern.
Kern des Streits ist nach Angaben aus Konzernkreisen das von Diess geforderte Tempo beim Umbau des Wolfsburger Mehrmarken-Imperiums. Zuletzt hatte der 63-Jährige durch Äußerungen für Unruhe gesorgt, es stünden bis zu 30.000 Arbeitsplätze auf der Kippe, sollte der Umbau nicht schnell genug gelingen. Das wäre jede vierte Stelle in Deutschland. Diess will, dass sich VW stärker am US-Elektroautobauer Tesla misst, der Autos in sehr viel kürzerer Zeit bauen kann als Volkswagen.
Im Fokus steht dabei das Wolfsburger Stammwerk, das um seine Auslastung bangt. Die weltweit größte zusammenhängende Fabrik der Hauptmarke VW steht wegen der durch den Mangel an Bauteilen erzwungenen Produktionsunterbrechungen massiv unter Druck. Im vergangenen Jahr waren in Wolfsburg erstmals seit über 60 Jahren weniger als eine halbe Million Autos der Modelle Golf, Tiguan, Touran und Tarraco gebaut worden. 2021 könnten es noch weniger werden. Ein Insider hatte Reuters unlängst gesagt, in der Wolfsburger Fabrik seien in den ersten neun Monaten gerade einmal etwas mehr als 300.000 Fahrzeuge von den Bändern gerollt. Es müsse schon ein Wunder geschehen, wenn das Vorjahresniveau bis zum Jahresende erreicht werden solle.
STREIT UM US-REISE
Der Konflikt war eskaliert, weil Diess wegen einer US-Reise zunächst nicht an einer Belegschaftsversammlung teilnehmen wollte. Betriebsratschefin Daniela Cavallo warf ihm vor, sich lieber mit Investoren in Amerika zu treffen, statt sich Fragen der Belegschaft zu stellen. Sie hielt dem ehemaligen BMW-Manager fehlende Empathie vor. Sein Verhalten sei beispiellos in der Geschichte des Wolfsburger Konzerns. Diess verschob daraufhin seine Reise. Er soll an diesem Donnerstag vor rund 7000 Mitarbeitern reden und Fragen der Belegschaft beantworten. Dabei sein werde auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der als Vertreter des Landes im Aufsichtsrat sitzt. Niedersachsen ist zweitgrößter Anteilseigner von Volkswagen.
Das "Handelsblatt" berichtete unter Berufung auf Konzernkreise, Weil habe sich im Aufsichtsrat von Diess distanziert. Der Ministerpräsident selbst habe sich mit Verweis auf seine Verschwiegenheitspflicht gegenüber der Zeitung nicht äußern wollen. In dem 20-köpfigen Aufsichtsrat haben Arbeitnehmer und das Land zusammen zwölf Sitze. Weder der Betriebsrat noch die niedersächsische Staatskanzlei äußerten sich.
In dem Vermittlungsgremium sitzen Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, Ministerpräsident Weil, IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und Betriebsratschefin Cavallo. Der Ausschuss soll in Streitfällen einen Vorschlag unterbreiten, wenn im Aufsichtsrat keine Mehrheit zustande kam. Zwei Insider sagten, das Gremium sei in diesem Fall nicht formal angerufen worden. Es solle dort aber eine Einigung herbeigeführt werden.
Diess liegt seit Monaten mit dem Betriebsrat über Kreuz. Im vergangenen Sommer soll er Insidern zufolge sogar kurz vor einer Entlassung gestanden haben, weil er undichte Stellen im Aufsichtsrat angeprangert hatte. Im Dezember 2020 war im Streit um eine von Diess verlangte Vertragsverlängerung ein Eklat nur knapp abgewendet worden. Im Juli verlängerte der Aufsichtsrat schließlich seinen Vertrag bis Oktober 2025.
rtr