Im Januar 1996 landete ich, aus dem sommerlichen Arizona kommend, in Chicago, von wo es nach Frankfurt weitergehen sollte. Amerika hat viele Gesichter, sein Wetter auch. In Chicago war es bitterkalt, es tobten Schneestürme. Und schon beim Betreten des Flughafengebäudes schwante mir, was los war: Überall in den Gängen quälten sich gestrandete Passagiere herum, die nicht wussten, ob, wann und wie es weitergehen sollte.

Auch unser Delta-Flug wurde storniert. Aber die Dame am Schalter hatte eine positive Überraschung bereit: Im einzigen angeblich heute noch in Richtung Deutschland abgehenden Flug gab es bei United Airlines noch drei freie Plätze. Aber man müsse sich beeilen, da der Flieger in etwa einer halbe Stunde starte.

260 kampferprobte Viel- und Wenigflieger nebst Kindern und Koffern stürmten los. Ich nicht. Als der wilde und rücksichtslose Spuk vorbei war und ich allein auf weiter Flur stand, mir zur Seite nur mein treuer, stoische Ruhe ausstrahlender Koffer, fragte ich die Dame am Delta-Schalter, ob sie nicht noch einmal nachschauen könne, ob es sonst nicht evtl. noch einen anderen freien Platz nach Frankfurt gäbe. Kurze Telefonate und dann die Auskunft: American Airlines hatte einen. Einen einzigen. Meinen.

Für die Finanzmärkte lässt sich daraus lernen, dass man, auch wenn es einmal eng wird, nicht einfach stur mit der in Kauf- oder auch Verkaufspanik verfallenen Masse rennen, sondern hin und wieder auch einmal den Kopf einschalten sollte. Noch besser ist es, sich das auch dann zur Angewohnheit zu machen, wenn man aus gutem Grund eben doch mit der Masse läuft. Und auf die Ansagen sollte man ebenfalls achten.

Megaphon: Klare Ansage

Den nachfolgenden Chart kennen Sie bereits aus den letzten Monaten. Aber nachdem er uns bis jetzt mehr oder weniger nur in Atem gehalten hat, kam es zum Januar-Monatsultimo nun endlich zu einer klaren Ansage.

Sowohl im November als auch im Dezember hatte der Dow Jones am Monatsletzten eine genaue Punktlandung auf der oberen Begrenzungslinie des charttechnischen "Megaphons" absolviert. Ende letzter Woche sah es dann anders aus. Denn der Kurs hat im Monatschart nun eine erste, deutliche Abwärtszacke nach unten ausgebildet. Die Baissiers sollten jedoch (noch) auf der Hut sein. Warum? Sehen Sie sich die im Chart ebenfalls abgebildeten Umsätze innerhalb des "Megaphons" an: Hätten wir seit dem Allzeithoch den Beginn einer Verkaufspanik gesehen, müssten die Umsätze entsprechend zugelegt haben. Das ist jedoch erkennbar nicht der Fall. Bis jetzt haben wir es also noch mit einer ganz "normalen" Korrektur zu tun, die zweifellos auch den Gefallen der Bullen finden dürfte, da sie das überhitzte Sentiment abbaut. Theoretisch zumindest, aber dazu später.

Ganz entspannt zurücklehnen dürfen sich die Optimisten jedoch auch nicht. Denn im oben abgebildeten Chart sehen Sie ja auch die vom Kurstief 2009 ausgehende, sehr steile Aufwärtstrendgerade. Und die nehmen wir uns jetzt einmal in einem Wochenchart unter die Lupe.

Das Positive an diesem Chart vorneweg. Charttechnische Trends, das gilt in beide Richtungen, haben immer bis zum Beweis des Gegenteils als intakt zu gelten. Das gilt selbstverständlich auch für die 2009 gestartete Hausse. Aber: Mit dem jetzigen Kurs sitzt der Dow Jones wieder exakt auf dieser Trendlinie auf. Wird sie nach unten durchbrochen, könnte das sehr wohl das Ende des laufenden Bullenmarktes und den Beginn einer neuen Baisse bedeuten. Mir ist klar, dass die meisten Haussiers dieses Szenario für völlig unmöglich halten. Fünf Jahre Bullenmarkt vollbringen eine effektivere Gehirnwäsche als die modernsten und potentesten Psychopharmaka. Den Markt stört das allerdings nicht. Und dass jede noch so exzessive Hausse irgendwann einmal der nächsten Baisse Platz macht, ist eine Erfahrung, die sich zwar verdrängen, nicht aber aufheben lässt.

Sentimenttechnik: Optimisten weichen keinen Schritt zurück

Nun aber zur oben bereits angerissenen "Abkühlung" der heißgelaufenen Marktverfassung. Extremer Optimismus ist bekanntermaßen immer gefährlich, kann aber ebenso gut auch zu noch extremerer Euphorie führen. Umso heftiger wird es dann, wenn plötzlich die Stimmung kippt. Vor den Kameras bei Bloomberg und CNBC ist sie das bereits. Die im Pulverdampf der Börse ergrauten Börsenveteranen stapeln sich neuerdings wieder in den Börsensendungen, um auf die erheblichen Marktrisiken hinzuweisen. Und fast niemand scheint zu bemerken, dass dieselben Herrschaften noch vor wenigen Wochen dort das Lied der ewigen Hausse sangen. Am Kleiderbügel mag sie out sein, was die Marktkommentatoren betrifft, ist die Wendejacke beliebt wie eh und je. Ganz anders sieht das aber in der Wirklichkeit auf dem Parkett aus.

Denn die recht gut mit der Stimmung an der Börse korrelierende Anzahl negativ gestimmter US-Börsendienste ist nach einer kurzen, steilen Aufwärtszacke nun wieder in Reichweite ihres 26-Jahrestiefs eingebrochen. Hier hat sich also mitnichten irgendetwas "abgekühlt". Und dementsprechend bullish sind auch nach wie vor die Anleger.

Drei Wochen in Folge verbleibt die Nachfrage nach Krediten zum Aktienkauf nun schon auf ihrem Allzeithoch. Die Menschen, die das niedrige Zinsniveau nutzen, um Kapital zum Spekulieren aufzunehmen, sind also nicht weniger geworden. Sie alle gehen davon aus, dass ihnen die Kursgewinne und (wohl vernachlässigbar) Dividenden nicht nur ihre Kreditkosten wieder hereinspielen, sondern auch noch einen guten Gewinn.

Sähen diese Menschen den abgebildeten Chart, dächten sie vermutlich genau andersherum. Denn die Bereitschaft der Anleger, sich zum Spekulieren auch noch zu verschulden, korreliert so perfekt mit den Hochs und Tiefs der Wall Street wie kein einziger anderer Indikator. Nur, dass es sich dabei um eine "negative Korrelation" handelt. Aktien kauft man am billigsten dann, wenn sie jeder loswerden will. Und eben gerade nicht, wenn jedermann auch noch einen Kredit aufnimmt, um sie kaufen zu können. Dafür, dass es tatsächlich leider umgekehrt ist, tragen auch die Börsenanalysten ein gerütteltes Maß an Verantwortung (s. vorletzter Chart). Letztlich aber geht es immer zu wie am Delta-Schalter: Jeder entscheidet selbst, was er tun will. Weswegen gerade viele Kleinanleger nie da ankommen, wo sie eigentlich hin wollten.

Edelmetalle: Genau hinsehen!

2.000 US$/oz. geisterten für den Goldpreis gestern wieder durchs Internet. Mag sein. Oder auch nicht. Meine Signale der letzten Jahre sehen Sie hier:

Nüchtern konstruierte Indikatoren mit den "richtigen" Indikatoren lügen nicht, weil sie es nicht können, kein Hirn haben und unbestechlich sind. Für eine Aufwärtsspekulation auf Gold fehlen aktuell alle Argumente, es sei denn Sie bewerten als positiv, dass es keine gibt. In der Tat ist das bisweilen gar nicht mal schlecht. Aktuell bin ich aber auf dem Sprung, für Gold einen neuen Abwärtstrend zu empfehlen, sobald der Unzenpreis an der Londoner Metallbörse (LME) unter 1.230 US$ fällt. Engen Stopp drüber uns fertig das Ganze!

Feine, ganz feine und sehr nahe liegende Chancen also heute, wie ich Sie Ihnen leider nur ganz selten aufzeigen kann.

Viel Erfolg und beste Grüße!

Axel Retz