Als Grund nannten Händler, dass die Konjunktur in China und den USA - den beiden größten Volkswirtschaften der Welt - nicht so rund wie erwartet läuft. In den USA stockte im August der Arbeitsmarkt, in China gingen die Importe zurück . Die Talfahrt der Ölpreise begann aber schon Mitte Juni, als ein Barrel noch 115,71 Dollar kostete. Doch anders als in den Vorjahren bröckelt der Preis trotz des nahenden Winters immer weiter ab. Schlecht ist das vor allem für Ölförderländer wie Russland und die Opec-Staaten, die unter dem Ausbleiben der Petrodollars besonders ächzen.

Rund 40 Prozent der Einnahmen des russischen Staates stammen aus dem Export von Rohöl. Im Haushaltsplan für 2014 rechnet die Regierung in Moskau mit einem durchschnittlichen Preis von 104 Dollar je Fass. Ein Rückgang des Ölpreises um zehn Dollar kostet Moskau nach Angaben von Sergei Aleksashenk, ehemals Zentralbankgouverneur, fünf Prozent der jährliche Budget-Einnahmen. Kein Wunder also, dass der Kreml die Ölpreisentwicklung mit Argusaugen verfolgt. Ein Preis unter 100 Dollar dürfte in Moskau nun die Alarmglocken schrillen lassen, erklären Experten.

Auf Seite 2: Auch Opec-Länder an höherem Ölpreis interessiert

AUCH OPEC-LÄNDER AN HÖHEREM ÖLPREIS INTERESSIERT

Doch Moskau steht mit seinem Interesse an einem höheren Ölpreis nicht alleine: Auch die Mitglieder des Opec-Kartells sind auf die Einnahmen aus dem Ölgeschäft angewiesen. Im vergangenen Jahr reichten die Einnahmen gerade so, um die Ausgaben zu decken. Der durchschnittliche Ölpreis lag bei 106 Dollar je Barrel, wie eine Gruppe von Experten in London ausgerechnet hat. Aber die Opec gibt sich derzeit gelassen. "Kein Grund zur Sorge", winkte ein Delegierter bei einer Opec-Konferenz vor kurzem ab.

Dabei setzen die arabischen Produzenten bisher auf einen kalten Winter in der westlichen Hemisphäre. "Dass der Preis derzeit fällt, liegt auch an der Jahreszeit", erklärt einer. "Im Herbst wird die Nachfrage anziehen." Längerfristig werde daher ein Fass Öl nicht weniger als 100 Dollar kosten. Notfalls dürfte das Kartell nachhelfen: Schließlich könnten Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate sich rasch auf eine geringere Fördermenge einigen.

Auf Seite 3: USA fördern so viel Öl wie zuletzt vor mehr als 27 Jahren

USA FÖRDERN SO VIEL ÖL WIE ZULETZT VON MEHR ALS 27 JAHREN

Vor allem diesen drei Ländern trauen Experten zu, die nun wieder aus Libyen auf den Weltmarkt fließenden Ölbestände zu neutralisieren. Doch Analysten weisen auch darauf hin, dass der Spielraum selbst für so mächtige Ölförderländer wie Saudi-Arabien für eine Senkung der Förderung begrenzt ist. Schließlich könnten sie Marktanteile verlieren, da eben nicht mehr nur das Kartell die Weltmärkte beliefert.

Denn als einer der wichtigsten Gründe für das Überangebot gilt der Ölrausch in den USA. Im Juli war nach Angaben des US-Energieministeriums die Förderung mit 8,5 Millionen Barrel täglich so hoch wie zuletzt im April 1987. Und das Ministerium rechnet mit noch mehr Öl: Im nächsten Jahr dürfte die Förderung auf 9,3 Millionen Fässer täglich steigen - das wäre so viel, wie zuletzt im Schnitt 1972 produziert wurde.

Auf der Seite 4: Einige Analysten trauen der Entwicklung nicht

EINIGE ANALYSTEN TRAUEN DER ENTWICKLUNG NICHT

Und auch der nördliche Nachbar Kanada hat Öl als neue Geldquelle entdeckt: Laut Investec Asset Management verfügt das Land nach Saudi-Arabien und Venezuela über die drittgrößten bekannten Ölvorkommen. Große Teile dieser Vorräte könnten erst jetzt durch neue Fördertechniken rentabel erschlossen werden. "Anders als viele andere unerschlossene Vorkommen liegen die kanadischen Felder in einem westlichen Staat, der politische, steuerliche und soziale Stabilität garantiert", sagt Fondsmanager Charles Whall. Kein Wunder, dass die Internationale Energiebehörde IEA trotz aller Krisen in ihrem August-Bericht keine akuten Versorgungsengpässe ausfindig machen kann.

Viele Börsianer können die Entwicklung fundamental aber nicht nachvollziehen. Die Analysten der Commerzbank vermuten daher, dass am Ölmarkt derzeit so heftig wie seit Jahren nicht mehr spekuliert wird. Das gehe aus den seit 2011 vorliegenden Aufzeichnungen über die Positionierungen der Großanleger am Terminmarkt hervor. Dabei wetteten die Anleger im großen Stil auf fallende Preise. "Die Stimmung könnte schnell wieder drehen, sollte es zu tatsächlichen Produktionsausfällen kommen", warnen die Analysten.

Reuters