"Als Führungskräfte sind sie dafür verantwortlich, dass die Behörden mit einer Software über die Einhaltung der Abgas-Grenzwerte von VW-Dieselmotoren getäuscht wurden." Richter Christian Schütze verschärfte im Anschluss überraschend einige Anklagepunkte. Die Angeklagten hätten nicht als Mittäter, sondern als Nebentäter gehandelt. Damit käme ihnen bei der Begehung von Straftaten eine größere Eigenverantwortung zu.
Das Verfahren gegen den früheren Konzernchef Martin Winterkorn, der wenige Tage nach Bekanntwerden des Skandals im September 2015 zurücktrat, wurde wegen seines Gesundheitszustands abgetrennt. Der 74-Jährige ist nach einer Hüftoperation noch nicht verhandlungsfähig. Gegen die gesonderte Verhandlung hat die Staatsanwaltschaft Beschwerde beim Oberlandesgericht eingelegt. Ursprünglich hatte der Prozess bereits im Februar 2021 beginnen sollen, musste aber wegen der Corona-Pandemie mehrmals verschoben werden.
Der Verteidiger eines der angeklagten Ingenieure warf Winterkorn vor, sich dem Prozess zu entziehen. "Sich der Verantwortung für sein eigenes Handeln zu stellen, sieht anders aus", sagte Rechtsanwalt Andreas Mroß. Angesichts von Winterkorns Alter sei vollkommen unklar, ob das Verfahren gegen ihn jemals geführt werden könne. Durch die jahrelangen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und die umfangreiche Medienberichterstattung über den Dieselskandal sei ein Klima der Voreingenommenheit gegen die Angeklagten entstanden.
Die Rechtsanwältin eines früheren VW-Managers beantragte, das Hauptverfahren auszusetzen. Sie begründete dies damit, dass der von der Staatsanwaltschaft zur Anklage gebrachte Sachverhalt nicht ausermittelt sei. "Ohne das Ergebnis abzuwarten, soll nun verhandelt werden." Dies sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren.
"WINTERKORN WUSSTE SCHON 2014 BESCHEID"
Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft sollen die Angeklagten von der millionenfachen Dieselmanipulation gewusst, die illegale Abschalteinrichtung mit entwickelt haben beziehungsweise nicht dagegen eingeschritten sein. Ihr Ziel sei gewesen, dem Unternehmen möglichst hohe Gewinne zu verschaffen, um von hohen Bonuszahlungen zu profitierten. Winterkorn sei spätestens im Mai 2014 über der Existenz der Abgasmanipulation in den USA informiert gewesen, sagte Hoppenworth. Dennoch habe er den Verkauf der Fahrzeuge nicht gestoppt und die unlautere Werbung mit dem angeblich sauberen Diesel nicht eingestellt.
Die Kammer hatte den Betrugsvorwurf der Ermittler bei der Zulassung der Anklage vor einem Jahr nach eigenen Ermittlungen den Gesichtspunkt der Bandenbildung ergänzt. Im äußersten Fall drohen den Angeklagten damit Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren. Eine Behandlung als Nebentäter statt Mittäter könnte ebenfalls Auswirkungen auf ein Strafmaß haben. Richter Schütze erweiterte zudem den Tatzeitraum.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat bei der Aufarbeitung des Dieselskandals bisher 34 VW-Manager und -Ingenieure wegen verschiedener Delikte angeklagt. Gegen weitere bis zu 80 Personen wird noch ermittelt. In einem ähnlichen Verfahren vor dem Landgericht München müssen sich seit einem Jahr der frühere Audi-Chef Rupert Stadler und drei weitere Manager der Ingolstädter VW-Tochter verantworten.
Aufgeflogen war der Skandal am 18. September 2015 durch die amerikanische Umweltbehörde EPA. Die Behörde drohte dem deutschen Konzern wegen Verstößen gegen US-Umweltgesetze eine Strafe von bis zu 18 Milliarden Dollar an. Vorausgegangen waren langwierige Untersuchungen und Tests mit VW-Dieselautos in den USA, bis Experten schließlich auf die Spur der Betrugssoftware in der Motorsteuerung kamen. Diese sorgte dafür, dass die Motoren die Stickoxidgrenzwerte auf dem Prüfstand einhielten, auf der Straße aber ein Vielfaches dieser giftigen Abgase ausstießen. Für Volkswagen ist der Dieselskandal ein finanzielles Desaster. Die Wiedergutmachung kostete Volkswagen bislang mehr als 32 Milliarden Euro, vor allem Strafen und Schadensersatzzahlungen in den USA.
Ein Ende der finanziellen Belastungen ist für den Konzern nicht abzusehen. Weltweit sind noch Schadensersatzklagen von Dieselhaltern anhängig. Außerdem wollen Anleger vor dem Oberlandesgericht Braunschweig einen Schadensersatz für erlittene Kursverluste durch den Dieselskandal durchsetzen. Die Summe der Forderungen beläuft sich auf rund neun Milliarden Euro.
rtr