Rund 20 Anwälte der Musterparteien - Deka Investment und Volkswagen - und ihre Mitarbeiter haben sich für den Prozess angemeldet. Hinzu kommen weitere rund 25 Anwälte der Beigeladenen. Das sind die Vertreter der Anleger, deren Klagen für den Musterprozess ausgesetzt wurden und die im Falle eines Urteils zugunsten der Deka ihre Ansprüche vor dem Landgericht Braunschweig durchsetzen wollen. Beim Landgericht sind rund 1670 Klagen mit einem Streitwert von insgesamt neun Milliarden Euro eingegangen. Davon wurden 1640 Verfahren mit einem Gesamtvolumen von vier Milliarden ausgesetzt. Ein kleiner Teil davon betrifft auch den VW-Haupteigner Porsche SE, der in dem Verfahren Nebenbeklagter ist.
Dreh- und Angelpunkt in dem Mammutprozess ist die Frage, wer was wann bei Volkswagen über die Abgasmanipulation wusste. Davon hängt ab, ob der Konzern seine Informationspflicht gegenüber den Aktionären erfüllt hat. Dabei ist nach Ansicht von Klägeranwalt Andreas Tilp nicht entscheidend, ob dem früheren Vorstandschef Martin Winterkorn oder dem aktuellen Konzernlenker Herbert Diess eine konkrete Mitwisserschaft nachgewiesen werden kann. Die Haftung des Unternehmens gelte auch für "verfassungsmäßig berufene Vertreter". Das sind Führungskräfte, die wesentliche Aufgaben erfüllen, also etwa Leiter der Entwicklungsabteilung und Markenvorstände. "Wir haben Hinweise, dass eine Reihe dieser verfassungsmäßig berufenen Vertreter Bescheid gewusst haben, und das wird dem Unternehmen zugerechnet", sagt Tilp.
NICHTS SEHEN UND NICHTS HÖREN
Damit will der auf Kapitalanleger-Musterverfahren spezialisierte Rechtsanwalt aus Tübingen die Verteidigung von Volkswagen durchkreuzen. Der Konzern argumentiert, dass die Entscheidung, in Dieselautos in den USA eine illegale Abschalteinrichtung einzubauen, von Managern unterhalb des Vorstandes getroffen worden sei. "Weder der Gesamtvorstand noch einzelne Vorstandsmitglieder der Musterbeklagten waren an der Entstehung und Entwicklung des in den USA begangenen Compliance-Verstoßes beteiligt noch hatten sie Kenntnis davon", heißt es in der mehr als 300 Seiten umfassenden Klageerwiderung von VW.
Nach Darstellung des Konzerns hat die Unternehmensspitze erst durch die Veröffentlichung der amerikanischen Umweltbehörde am 18. September 2015 von der Tragweite des Abgasskandals erfahren. Bis dahin sei man davon ausgegangen, dass es sich in erster Linie um ein "Vertriebsthema" in den USA handele, das in Verhandlungen mit den Behörden gelöst werden könne. Als nach eigenen Nachforschungen klar wurde, dass weltweit rund elf Millionen Dieselautos von dem Betrug betroffen waren, hatte Volkswagen die Börse am 22. September 2015 in einer Pflichtmitteilung informiert und die Gewinnziele kassiert. Viel zu spät, wie Kläger meinen.
Nach Ansicht von Tilp wusste das Management schon lange vorher Bescheid und hätte die Anleger informieren müssen. Schon am 3. September - fast drei Wochen vor der Ad-hoc-Mitteilung - hatte VW die Manipulation von Abgaswerten bei einem Treffen mit den Umweltbehörden EPA und CARB offengelegt. Tilp geht noch weiter in die Annalen der "Dieselgate"-Geschichte zurück: Der Rechtsanwalt fordert im Namen seiner Mandanten Ersatz für Wertpapierkäufe seit dem 6. Juni 2008. An dem Tag habe Volkswagen in den USA die Zulassung für den VW Jetta Diesel erhalten, so dass davon auszugehen sei, dass das Unternehmen von dem Zeitpunkt an belegbar manipuliert habe.
Ein weiteres wichtiges Datum ist der so genannte Schadenstisch, ein regelmäßiges Treffen, bei dem Motorenentwickler und weitere Manager im Beisein von Konzernchef Winterkorn Qualitätsprobleme besprachen. VW zufolge berieten sich einzelne Mitarbeiter bei dieser Gelegenheit am 27. Juli 2015 am Rande über die Diesel-Thematik. Laut US-Staatsanwaltschaft wurde das leitende Management inklusive Winterkorn an diesem Tag über das "Defeat Device" informiert. Das Oberlandesgericht hat zunächst bis zum 10. Dezember 13 Verhandlungstage angesetzt.
rtr