Durch den Kauf eines manipulierten Dieselfahrzeugs sei der Käufer geschädigt worden, stellte der Richter in seiner vorläufigen Einschätzung fest. Er machte außerdem deutlich, dass er das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz, das dem Kläger einen Schadensersatz von 26.000 Euro für einen gebrauchten VW Sharan zugesprochen hatte, im Wesentlichen nicht beanstanden wird. Die Koblenzer Richter waren von einer sittenwidrigen Schädigung durch VW ausgegangen.

Diese Äußerungen ließen VW-Anwalt Reiner Hall erst einmal schlucken: "Sie haben mir einen ordentlichen Fels in den Weg gelegt", sagte er bei Beginn seines Vortrags. "Wir sind davon ausgegangen, dass der BGH sagt, es ist kein Schaden für den Kunden zu erkennen", fügte ein Unternehmenssprecher hinzu. "Vorläufig ist der Senat nicht unserer Auffassung." Ob es dabei bleibe, sei offen. Das Urteil, das eine Signalwirkung für tausende Dieselverfahren haben wird, will der BGH erst zu einem späteren Zeitpunkt verkünden. Gerichtskenner gehen davon aus, dass der Senat mit seiner vorläufigen Auffassung die Richtung seiner Entscheidung bereits angedeutet hat.

ZEHNTAUSENDE KLAGEN GEGEN VW


Es ist das erste Mal, dass sich das oberste deutsche Zivilgericht mit einer Schadenersatzklage eines Autokäufers im VW-Dieselskandal in einer mündlichen Verhandlung beschäftigt (VI ZR 252/19). Das Urteil des BGH gilt allen übrigen Gerichten als Richtschnur. Sollte es dem Kläger Recht geben, könnte das bei Gerichten der unteren Instanzen eine Lawine an Urteilen gegen VW auslösen. Das sieht der Autobauer nicht so: "Anlass für neue Klagen wird es kaum geben." Viele Kunden hätten dem im Rahmen einer Musterfeststellungsklage verhandelten Vergleich zugestimmt, andere Ansprüche seien verjährt. "Entgegen der vorläufigen Ansicht des BGH sind wir nicht der Ansicht, dass allein der Kauf eines Fahrzeugs schon eine Schädigung darstellt." Man müsse nun das Urteil abwarten.

Scharen von Verbraucheranwälten und ihre im Abgasbetrug geschädigten Mandanten blicken erwartungsvoll nach Karlsruhe. Insgesamt gibt es laut VW in Deutschland noch 73.000 Klagen, in denen Dieselhalter Schadensersatz von VW verlangen. Darunter sind nach Angaben des Prozessfinanzierers MyRight Ansprüche von rund 45.000 Dieselfahrern, die die Firma gebündelt hat.

Hierzulande hatten anfangs die meisten Gerichte Schadensersatzforderungen abgewiesen. Zuletzt hatte sich das Blatt jedoch gewendet. VW hat seither versucht, Urteile zu seinen Ungunsten durch außergerichtliche Vergleiche zu vermeiden. Einige Verfahren landeten dennoch vor dem Bundesgerichtshof. Die Wiedergutmachung des Dieselskandals hat Volkswagen bereits mehr als 30 Milliarden Euro gekostet.

Die auf Diesel-Verfahren spezialisierte Kanzlei Goldenstein & Partner, die auch für den jetzt vor dem BGH verhandelten Fall verantwortlich ist, rechnet nach den Hinweisen des Richters mit einem Urteil im Sinne des Klägers. "Der BGH hat sich heute im Zusammenhang mit dem VW-Dieselskandal in aller Ausführlichkeit verbraucherfreundlich positioniert", erklärte Rechtsanwalt Claus Goldenstein. Das Urteil werde auch für manipulierte Dieselautos anderer Hersteller wichtig sein. Sollten die BGH-Richter der Auffassung folgen, würden allein in Deutschland Millionen Rückrufe und damit eine Klagewelle drohen.

"KEINE BEHAUPTUNG INS BLAUE HINEIN"


Vor dem BGH wurde der Fall des Klägers Herbert Gilbert verhandelt. Er hatte Anfang 2014 für rund 31.500 Euro einen gebrauchten VW Sharan mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 gekauft, in dem eine Abschalteinrichtung verbaut ist. Diese sorgt dafür, dass die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, auf der Straße wird viel mehr giftiges Stickoxid ausgestoßen. Der Kläger sei vorsätzlich und sittenwidrig getäuscht worden, hatte das OLG Koblenz geurteilt und ihm 26.000 Euro Schadensersatz zugesprochen. Die Richter zogen ihm aber Kosten für die Nutzung des Fahrzeugs ab, deshalb ging Gilbert in Revision. VW rief Karlsruhe ebenfalls an und will, dass die Richter alle Forderungen zurückweisen.

BGH-Richter Seiters erläuterte, der Kläger habe hinreichend dargelegt, dass der VW-Vorstand von der Betrugssoftware gewusst haben müsse. Dies sei "keine Behauptung ins Blaue hinein" gewesen. Auch das Argument, der Kläger habe das Fahrzeug ja weiter nutzen können und damit sei die volle Brauchbarkeit gewährleistet, teilte Seiters nicht. Es gebe bislang keine Anzeichen, dass Gilbert das Auto auch gekauft hätte, wenn er von der Abschaltsoftware gewusst hätte. VW-Anwalt Hall argumentierte, der Kläger müsse zeigen, dass er aus dem Vertrag einen Nachteil erlitten habe. Das sei nur dann der Fall, wenn er darlegen könne, dass er aus Umweltgründen wirklich auf den Kauf des VW Sharan verzichtet hätte.

Auf einen Abzug der Kosten für die Nutzung muss Gilbert sich aber wohl einstellen. Richter Seiters erklärte, er halte den Abzug einer Nutzungsentschädigung für gerechtfertigt. Auch wie diese vom OLG Koblenz berechnet wurde, sei nicht zu beanstanden.

rtr