Knapp 1500 Klagen und Forderungen in Milliardenhöhe - vor dem Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig geht es nicht gerade um Peanuts, wenn über den Kurssturz der Volkswagen-Aktie nach Bekanntwerden des Softwareskandals verhandelt wird. Das Gericht hat das sogenannte Kapitalanlegermusterverfahren gegen den Autohersteller nun einen entscheidenden Schritt weitergebracht und den Musterkläger bestimmt: Deka Investment, die Fondsgesellschaft der Sparkassen, die von der auf Anlegerrecht spezialisierten Kanzlei Tilp vertreten wird (Az. 3 Kap 1/16).

Auch geschädigte Privatanleger können von dem Verfahren profitieren - wenn sie ihre Ansprüche rechtzeitig anmelden und Formalitäten beachten. BÖRSE ONLINE zeigt, worauf es ankommt.

Welche Fragen werden geklärt?



Das Verfahren soll Fragen beantworten, die für alle auf Schadenersatz klagenden Anleger von Bedeutung sind. Zentral geht es darum, wann VW per Ad-hoc-Mitteilung über die Manipulationen hätte informieren müssen: "Jedenfalls im Mai 2014, als die Ermittlungen der US-Umweltbehörden gegen VW im Konzern bekannt wurden - nach unserer Überzeugung aber auch schon deutlich früher", sagt VW-Experte Axel Wegner von der Kanzlei Tilp.

Das hat Folgen für alle, die seither bis zum offiziellen Bekanntwerden der Manipulationen am 20. September 2015 von VW emittierte Aktien oder Anleihen, eventuell auch Derivate auf diese Papiere, erworben haben. Sie haben nach Meinung von Anwälten passable Chancen auf Schadenersatz wegen verspäteter Ad-hoc-Mitteilung. Worum es im Einzelnen geht, steht im Vorlagebeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 5. August 2016 - (Az. 5 OH 62/16), der im Bundesanzeiger (bundesanzeiger.de) zu finden ist.

Wer kann jetzt noch klagen?



Jeder, der noch keine Klage wegen ebendieses Anspruchs erhoben hat. Seine Ansprüche muss man schriftlich gegenüber dem OLG Braunschweig anmelden - und sich dabei zwingend anwaltlich vertreten lassen. Durch die Anmeldung wird die Verjährung der Ansprüche bis zum Abschluss des Musterverfahrens gehemmt, ohne dass eine eigene Klage erhoben werden muss. "So können die Anleger auf einfache und günstige Weise eine Klärung der zugrunde liegenden Rechtsfragen, insbesondere der Höhe des zustehenden Schadensersatzes, herbeiführen lassen und von dem zu fällenden Musterentscheid profitieren", sagt Anwalt Andreas Lang von der Kanzlei Nieding + Barth, die ebenfalls auf Anlegerthemen spezialisiert ist.

Wichtig zu wissen: Gegenüber den Anmeldern entfaltet die Entscheidung im Musterverfahren keine rechtliche Bindung. Diese gilt unmittelbar nur für Beteiligte, also den Musterkläger, den Musterbeklagten und die Beigeladenen. Sollte das Musterverfahren positiv für den Kläger ausgehen, müssen die Anleger, die Ansprüche angemeldet haben, diese auf Basis des Entscheids selbst rechtlich durchsetzen. Vermutlich ist eine gesonderte Klage aber nicht mehr nötig.



Muss ich Fristen beachten?



Ja, innerhalb von sechs Monaten ab Bekanntgabe des Musterverfahrens muss man seine Ansprüche anmelden - spätestens bis zum 8. September 2017. Aber man sollte genau prüfen, wann man seine VW-Papiere erworben hat. Denn gerade die Frage einer Verjährung ist sehr komplex und juristisch umstritten.

Zwischenzeitlich galt bis zu einer Gesetzesänderung am 10. Juli 2015 für Schadenersatzansprüche eine kurze Verjährung von einem Jahr ab Kenntnis, spätestens drei Jahre ab Unterlassung einer Pflichtmitteilung. Diese kurze Verjährung wurde zwar am 10. Juli 2015 gestrichen, aber ohne eine explizite rechtliche Übergangsregelung für Altfälle zu treffen.

Jedenfalls hatte im Mai 2014 der damalige VW-Chef Martin Winterkorn eine Information bezüglich der Ermittlungen der US-Umweltbehörden wegen der Abgasschummeleien erhalten. Nach Meinung von Anlegeranwälten hätte damals schon die Öffentlichkeit per Ad-hoc-Mitteilung informiert werden müssen. "Wer also vor dem 10. Juli 2015 VW-Aktien gekauft und bisher nicht selbst geklagt hat, sollte vorsorglich bis 23. Mai 2017 seine Ansprüche zum Musterverfahren anmelden", rät Anwalt Wegner.

Was kostet mich die Anmeldung?



Auch ohne Rechtsschutzpolice kann man sich das leisten: Bei einem Schaden von 5000 Euro kostet die Anmeldung zum Musterverfahren nur knapp 390 Euro, rechnet Wegner vor. Eine eigene Klage kommt schon in der ersten Instanz auf rund 1400 Euro.

Gibt es weitere Musterverfahren?



Das Landgericht Stuttgart hat am 28. Februar 2017 einen Vorlagebeschluss (Az. 22 AR 1/17 Kap) erarbeitet, der die Folgen der Manipulationen im VW-Konzern für betroffene Porsche-Aktionäre in einem Musterverfahren klären soll. Nun ist es Sache des OLG Stuttgart, das Verfahren zu eröffnen.